„Fast wie im Westen“

■ Erster Sommerschlußverkauf in der DDR / Ein Besuch bei der Schlacht am Grabbeltisch im „Centrum“ und bei Hertie am Halleschen Tor

Friedrichshain. Nach dem Ausverkauf der Schlußverkauf. Erstmals brach gestern auch für DDR-Bürger die Grabbeltisch -Saison an. Im Centrum-Kaufhaus am Hauptbahnhof beobachtete die taz das Jagdverhalten der Ost-KonsumentInnen. Große „SSV„-Fahnen und bunte Luftballons am Haupteingang locken zu den Preisattraktionen - ganz wie im Westen. Der erste Grabbeltisch mit diversen Damenledertaschen aus Westproduktion a 29 DM überrascht das kauffreudige Publikum gleich an den Eingangstüren. „Das ist ja wie bei Karstadt, alles ganz toll“, schwärmt Gerda Heinz (58), „Disponentin“ von Beruf. „So ein Angebot hab‘ ich nicht erwartet“, staunt sie. Hinter den Tischen stehen zwei junge Verkäuferinnen an einer altertümlichen Registrierkasse. „Total stressig heute“, stöhnt Sabine Peter (19). Zur Geschäftsöffnung um 9 Uhr 30 hätten über 300 Leute auf einmal den Eingang gestürmt. „Die Rolltreppen haben blockiert, die Leute blieben aber diszipliniert, es gab keine Hektik oder Panik“, lobt Sabine.

Zweite Etage. Schuhabteilung. Auch hier ein Riesenansturm. Das Sortiment hat Westniveau. Aus den Lautsprechern säuseln Musik und Werbung. Die meisten wollen sich die Schuhe lieber selber anprobieren und verzichten auf Beratung. „Früher wurde man immer gleich angesprochen und durfte nichts selbst anfassen. Da fühlte man sich sofort unter Druck gesetzt und ging lieber gleich wieder weg“, erklärt Barbara März (39), Lehrerin in Ost-Berlin, die allgemeine Selbständigkeit beim Kauf.

„Das Angebot ist überwältigend“, meint Helga Neumann (62). „Doch wir müssen bei den Billigangeboten bleiben“, fügt ihr Mann Gerd (62) resigniert hinzu, während seine Frau eine Damenpantolette für 1,90 DM anprobiert. Grund für die erzwungene Sparsamkeit: Das Rentnerehepaar verfügt im Monat über lediglich 1.000 DM. Auf Hochtouren läuft der Betrieb auch an der Cocktailbar gleich neben der Schuhabteilung. Der absolute Renner an diesem Tag: Cola. Alkoholika sind kaum angesagt. Barmixerin Daniela Büschleb (28): „Erschöpfte Kunden machen hier zwischendurch nur mal Pause.“

Szenenwechsel. Fast identische Bilder bei Hertie am Halleschen Tor in West-Berlin. „Das Beste zum Schluß“, lautet der Slogan am Eingang. In der zweiten Etage ist das Gedränge noch größer als im Centrum. Hier gibt es noch mehr Grabbeltische, die Warenständer sind noch dichter aufgestelt. „Man kann hier nach Herzenslust wühlen“, freut sich Horst Hellwig (33), Techniker aus Ost-Berlin. Wie viele andere Ostberliner findet auch er: „Das beste Schnäppchen mach ich doch im Westen.“

Marc Fest