Protest gegen Kulturabbau

■ DDR-Künstler fordern den Erhalt aller kulturellen Einrichtungen / „Das Geld dafür ist da“

Aus Berlin Reinhard Mohr

Vor etwa zweihundert Menschen im Ostberliner Nikolai-Viertel protestierten gestern nachmittag Künstler und „Kulturschaffende“ gegen eine „Demontage der DDR-Kultur“ und für den Erhalt aller kulturellen Einrichtungen. In teils flammenden Appellen forderten verschiedene RednerInnen die finanzielle Absicherung der von Entlassungen bedrohten Schriftsteller, Filmemacher, Maler und Theaterleute.

„Wir hatten doch etwas zu bieten!“ rief eine Vertreterin des „Schutzverbundes Künstler der DDR“ in die Menge, die immer wieder Gelegenheit hatte, sich bei den amerikanischen Swingrhythmen der Berliner Jazz Bigband zu entspannen. Auf einem Transparent vor der Rednertribüne wurde eine Vorruhestandsregelung für Künstler und die Wiedereinführung ihrer Berufsausweise gefordert. „Rettet unser Sandmännchen!“ forderte ein weiteres Transparent. „Pittiplatsch“ und „Schnatterinchen“ sollen dem deutschen Vereinigungsprozeß auf keinen Fall zum Opfer fallen. Ein Staat ohne Kultur sei undenkbar, sagten die protestierenden „Berufskünstler“ und drangen mit aller Verve auf die Festschreibung einer „Kulturunion“ im anstehenden zweiten Staatsvertrag.

Während der Schriftsteller Peter Brasch seine Lust auf „Kotzen in die Bannmeile“ mit einem längeren Hölderlin-Zitat verband, in dem der Altmeister der Lyrik seinen Haß auf die dumpfe Kälte der Deutschen in große Worte faßte, setzte sich die Kulturstadträtin Ost-Berlins, Ruster, ganz pragmatisch für ein Anwachsen des Kulturetats „gerade in schwierigen Zeiten“ ein. Die Ära der Privilegien sei endgültig vorbei, aber nun dürfe die Kulturpolitik nicht zum Stiefkind der deutschen Vereinigung werden.

Die Westberliner Regisseurin Helma Sanders-Brahms versicherte in einem längeren Beitrag, sie sympathisiere mit den Protesten und sei „solidarisch mit den Ängsten und Sorgen“ ihrer DDR-KollegInnen. Zugleich benutzte sie ihren Auftritt, um ihren ausgedehnten Briefwechsel mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker, EG-Präsident Jacques Delors und dem französischen Kulturminister Jack Lang in Sachen deutscher Film in gebührender Weise öffentlich zu machen.

DDR-Kulturminister Schirmer, der im Publikum entdeckt und von „den Massen“ zu einem Redebeitrag aufgefordert wurde, wandte sich gegen eine Schwarz-Weiß-Malerei und wies darauf hin, daß nun - neben berechtigten Forderungen - auch konstruktiv an einem Vereinigungsprozeß der beiden, sehr unterschiedlichen deutschen Kulturen gearbeitet werden müsse.

Nicht Museumserhaltung sei das Ziel, sondern eine „bewegliche Linie“ bei der Unterstützung der kulturellen Entwicklung.

Ohne eine „Analyse der vergangenen vierzig Jahre“, so DDR -Kulturminister Schirmer, könne es keine Erneuerung der kulturellen Konzepte geben. Eine Liquidierung der DDR-Kultur zugunsten der westdeutschen Kultur werde jedoch nicht zugelassen. Allerdings habe er in vielen Gesprächen mit bundesdeutschen Politikern den Eindruck gewonnen, daß diese durchaus Verständnis für die aktuellen Probleme der DDR -Künstler hätten.

Einen kleinen Erfolg konnte die Ostberliner Kulturstadträtin bereits präsentieren: Ateliers gelten ab sofort nicht als Gewerberäume und sind damit steuerlich bevorzugt.