Ein Markt, viele Märkte

Was ist eigentlich Marktwirtschaft? (Letzter Teil)  ■ 1*1 DER MARKTWIRTSCHAFT

„Vor unserer Zeit“, schrieb der hier schon oft zitierte Karl Polanyi, „waren Märkte niemals mehr als eine bloße Begleiterscheinung des Wirtschaftslebens. In der Regel war das Wirtschaftssystem im Gesellschaftssystem integriert, und welche Verhaltensnormen in der Wirtschaft auch vorherrschen mochten, die Existenz von Märkten war damit durchaus in Einklang zu bringen.“

Die Marktwirtschaft hingegen ist „ein ökonomisches System, das von Märkten kontrolliert, geregelt und gesteuert wird.“ „Eine Marktwirtschaft kann nur in einer Marktgesellschaft existieren“, denn „sie muß alle Elemente wirtschaftlicher Tätigkeit, einschließlich Arbeit, Boden und Geld, umfassen.“

Kennzeichen der Marktwirtschaft ist nicht die Existenz von Märkten, sondern „die Beherrschung des Wirtschaftssystems durch den Markt“. „Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.“

Auch die Feministin Veronika Bennholdt-Thomsen rückt die „Hierarchisierung“ der Ökonomie als Kennzeichen der Marktwirtschaft ins Zentrum ihrer Kritik: die Herrschaft der Warenökonomie gehe notwendig mit der Mißachtung der weiblichen Überlebensproduktion einher. Da in der Marktwirtschaft „nur noch das künstlich Produzierte als Ökonomie erscheint“, nämlich die Produktion von Waren für den Markt, wird die weibliche Überlebensproduktion („das Gebären, Nähren und Pflegen der Menschen“) entwertet. Letztere erscheint gar nicht mehr als Ökonomie.

In der Konsequenz richtet sich diese Kritik nicht gegen die Existenz von Märkten, Geld und Warenproduktion. Es geht vielmehr darum, die Wirtschaft wieder in die Gesellschaft zurückzuholen. Nicht die Märkte sollen die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft soll die Märkte kontrollieren.

Für Karl Polanyi galt es, „über den selbstregulierenden Markt hinauszugehen, indem man ihn bewußt einer demokratischen Gesellschaft unterordnet.“ Märkte sollen nicht generell ersetzt, sondern „ein nützliches, aber untergeordnetes Element einer freien Gesellschaft“ werden. Arbeit, Boden und Geld müßten jedoch auf jeden Fall dem Markt entzogen werden.

Veronika Bennholdt-Thomsen schreibt: „Das Geldverhältnis der Moderne beeindruckt durch die Dominanz, die dem Geld in der Werteskala zukommt (...) Wenn das Geld nur Tauschmittel, d.h. Mittel zur Aufrechterhaltung bestimmter sozialer Beziehungen wäre, dann hätte die Ökonomie des 'Geld heckenden Geldes‘, die Wachstumsökonomie, keine Basis.“

Gabriela Simon