Keine Vorzeigeausländerin

Die Pakistani Loubna Elahi ist Kopenhagens erste ausländische Gemeinderätin / Sie setzt sich durch gegen Kritik von islamischen Fundamentalisten und Mißtrauen dänischer Sozialdemokraten  ■  Von Selim Nassib

28 Jahre ist sie alt, und ihr Vorname Loubna bedeutet in ihrer Heimat so etwas wie „sanft“ oder „Honig“. Aber ihre Freunde sehen sie eher als Schlitzohr denn als gemütliches Pummelchen an: seit dem 20.November 1989 sitzt sie im Stadtrat von Kopenhagen und ist damit die erste Ausländerin in der Gemeinderegierung der dänischen Hauptstadt. Das Gesetz erlaubt ImmigrantInnen, bei Gemeindewahlen in Dänemark zu kandidieren. Doch niemand war bereit, der jungen Pakistani auf der sozialistischen Liste einen vorderen Platz einzuräumen, sie hat sich selbst durchbeißen müssen.

1973, als ihr Vater in Rawalpindi endgültig die Koffer packte, war Loubna gerade 12 Jahre alt. Kaum in Dänemark angekommen, wollte ihr der Vater den Schulunterricht verwehren, mit der Begründung, dort werde Sexualeriehung praktiziert. Aber sie schaffte es, ihn umzustimmen, indem sie sich wie eine Klette an ihn hängte. In der Schule nannten alle sie nur „die Schwarze“. Manche Mitschüler wuschen sich die Hände, wenn sie Loubna berührt hatten.

Sie gab nicht auf, ging weiter in die Schule, doch sie erkannte immer hautnäher, wie schwer es ist, mit den Prinzipien zweier Kulturen zu leben. Sie glaubte an einen Ausweg, als sie mit 18 einen jungen Pakistani heiratete und in die Heimat zurückzog. Doch auch dort mußte sie sehr schnell erkennen, daß ihre Landsleute sie nun nicht mehr als eine „echte Pakistani ansahen: Sie hatte ihren Mädchennamen geändert, sprach gar mit Männern, ohne die Augen niederzuschlagen. Acht Monate nach ihrer Ankunft war sie wieder in Kopenhagen.

Die gesamte Biographie der jungen Frau besteht aus derartigen Ereignissen: kaum hat sie ein Problem gelöst, stürzt sie (sich) in ein anderes. Aber gerade dieser Hindernislauf hat in ihr jene seltene Mischung aus Sensibilität und Hartnäckigkeit wachsen lassen, die es ihr erlaubt die dreifache Diskriminierung als Moslemin, Frau und Ausländerin auszuhalten und gleichzeitig in politische Aktivität zu wenden.

Mit der Politik beginnt sie im Milieu der Immigranten selbst. Sie gründet einen Verein, um neu eingewanderten Pakistanis die Lebensgewohnheiten der westlichen Gesellschaften zu erklären. „Dabei ging es nicht nur darum, den Leuten das Dänische beizubringen, sondern um das ganze System“, sagt sie. 1985 hat sie die Nase voll und läßt zeitweise alles fallen. Dann aber tritt sie der Vereinigung pakistanischer Arbeiter bei - was wiederum große Widerstände provoziert, denn ihr wird vorgeworfen, sie stachle pakistanische Frauen gegen ihre Männer auf. Aber als bei der Vollversammlung der Präsident der Vereinigung pro forma fragt, ob es einen Gegenkandidaten für seinen Posten gebe, hebt sie die Hand - und wird zur Vorsitzenden gewählt.

Im selben Jahr beschließt sie, auch bei den Gemeinderatswahlen zu kandidieren. Man rät ihr, sich bei den Sozialdemokraten einzuschreiben; aber sie weigert sich, die Rolle der „braven Vorzeigeausländerin“ zu spielen, und präsentiert sich als Unabhängige. Weil sie kein Geld für den Wahlkampf hat, geht sie zu den Meetings der anderen Kandidaten. „Hören Sie mir mal zu“, ruft sie dort, „ich habe etwas zu sagen: die Hälfte aller Einwanderer sind Frauen. Die haben auch etwas zu sagen!“ Pfiffe und Applaus: auf jeden Fall aber Aufmerksamkeit.

Am Wahltag bekommt sie dann 1.200 Stimmen. Eine großartige Basis für den zweiten Wahlgang: sie kann nun erhobenen Hauptes die Allianzen wählen und schließt sich der volkssozialistischen Liste an. „Ich habe aber sehr schnell gemerkt“, erzählt sie, „daß auch diese Partei außer netten Worten keinerlei Vorstellungen für eine Politik zugunsten der Einwanderer hatte, obwohl sie nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste Kraft des Landes ist. Ich habe ihnen daher die Schaffung eines Immigranten-Rates vorgeschlagen. Habe immer wiederholt: sagt mir nicht, was zu tun ist, sondern hört mir zu. Ich bin die Ausländerin. Das hat dann auch wirklich geklappt. Der Innenminister hat einen Ausländerrat gegründet, dem mittlerweile mehr als 200 Ausländervereinigungen beigetreten sind. Bei der ersten Sitzung mußte ich mit einem Messer auf eine Colaflasche schlagen, um überhaupt Gehör zu bekommen. Aber dann wurde ich in den Ausschuß des Rats gewählt und zwei Jahre danach erneut bestätigt.“ Plötzlich öffneten sich ihr die Grenzen.

Loubna Partei schickte ihre junge Mitstreiterin nach Nairobi zur Frauenkonferenz, später nach Oslo zum Nordisk -Forum. Sie trifft kurdische, türkische, arabische, iranische, indische und phillippinische Frauen, organisiert gleichzeitig Demonstrationen gegen die Ausländerfeindlichkeit und den Rassismus in Dänemark, Hand in Hand mit ihren Landsleuten aus der Partei Benazir Butthos.

Im November 1988 werden die Kandidaten für die Gemeinderatswahlen aufgestellt. Loubnas Vorstellung ist die umfangreichste: zur Überraschung aller erreicht sie den dritten Platz auf der Liste. Einen Tag später machen die in Dänemark lebenden islamischen Fundamentalisten allen Ernstes den Vorschlag, der Name Loubna Elahis solle durch den eines Mannes ersetzt werden. Ein mächtiges Kompliment; freilich ein ungewolltes.

Nassib arbeitet bei der französischen Tageszeitung 'Liberation‘ in Paris