Der kleine Tod

■ Slava Tsukermans „Liquid Sky“, 22.30 Uhr, Tele 5

Der Orgasmus, heißt es, sei der „kleine Tod“. Ein Tod, der eigentlich als ganz angenehm erlebt wird. Solange er zählbar bleibt, beziehungsweise die Verwandtschaft mit seinem großen Bruder geheimhält. Doch daß man in statu coitandi gleich ganz draufgeht, ist eine ungewöhnlich radikale Vorstellung, deren Bebilderung eines nicht minder ungewöhnlichen Filmes bedarf. In der mit allerlei Edelgas-Schnickschnack zum Neon -Museum stilisierten Dachwohnung des New Yorker Wave-Models Margaret (Anne Carlisle) kommen auf rätselhafte Weise Menschen zu Tode. Jedesmal, wenn sie „kommen“, müssen sie gehen, unmittelbar: ins Jenseits.

Das bringt sogar die abseitige Flaneurin Margaret aus der Fassung, die in dieser bunt schillernden New-Wave-Einöde bislang nur deswegen vor dem Lust-Tod verschont blieb, weil sie vor Langeweile bis zur Frigidität abgestumpft ist, eine auf die Dauer ebenso tödliche Variante.

Gleichgültig streift sie durch die monströs anonyme Halle einer Riesendisco, kategorisch „The Club“ genannt, in der ihre Freundin Adrian (Paula Sheppard) den leitmotivischen Song des Films intoniert. „Me and my rhythm box“ singt sie kultisch und vergleicht sich mit dem Wesen ihrer vorprogrammierten Rhythmusmaschine. Entsprechend maschinenhaft somnambul tanzen abgefahren futuristisch angezogene Freaks in dieser Disco wie authistische Marionetten. Als hätte Andy Warhol das Kabinett des Doktor Caligari nachkoloriert.

Mit schaudrig komisch klingendem Akzent indes erklärt der selbstredend deutsche „Wissenschaftler“ Johann (Otto von Wernherr) einer ebenso ungläubigen wie lasziven TV -Produzentin von gegenüber, was wir längst wissen. Auf Margarets Dach ist eine servierplattengroße Untertasse gelandet, deren vermeintliche Aliens den Lust-Tod bescheren. Die Lustquelle sei dabei egal, denn nach Johanns Theorie würde beim Organsmus wie beim Heroinschuß ein opiumähnliches Molekül frei, hinter dem die Außerirdischen her seien wie der Teufel hinter der armen Seele.

Spielerisch nimmt die aus der Sowjetunion emigrierte Regisseurin Slava Tsukerman mit diesem sinnreichen Scherz die Randgruppendiskriminierung der 1982 wie ein „Alien“ im Anflug befindlichen Aids-Hysterie vorweg, unter anderem.

Geradezu genial ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Regisseurin trotz schmalem Budget ihre stilistisch ausgefeilten Bilder mit einer thematisch variierten, elektronischen Leierkastenmusik zu hypnotischer Intensität verdichtet. Die kuriose, aber durchweg wohltuende Mischung aus New-Wave, Science Fiction und schwarzem Humor sicherte Liquid Sky vom Start weg den Status des Kultfilms.

Manfred Riepe