Rot-Grün und Nord-Süd?

■ Berlin und die Dritte Welt: Die Idee eines Landesamtes für Entwicklungspolitik - und was daraus wurde / Eine Nachfrage

Es war einmal ein 29. Januar 1989, da gewannen in der Stadt Berlin, die damals noch eine Insel war, eine verdatterte SPD und eine triumphierende AL die Wahlen und verhandelten um eine gemeinsame Koalition. Aus Soli-Szene und Internationalismus-Bereich der AL wurde Bedarf auf eine Koordinationsstelle für Dritte-Welt-Aktivitäten angemeldet. Ihr meint ein Landesamt für Entwicklungspolitik, sagte die SPD. Die AL wußte nicht genau, ob sie so ein Amt gemeint hatte, sagte aber sicherheitshalber ja. Da sagte die SPD (gegen ihren eigenen Parteiarbeitskreis Nord-Süd) sicherheitshalber nein. Und so konzipierte, organisierte, mobilisierte die AL für ein Landesamt für Entwicklungspolitik.

Es war einmal ein höherer, der SPD verpflichteter Senatsangestellter, der wurde, als die CDU in Berlin die Regierung übernahm, aus der Wissenschaftsverwaltung in die Wüste geschickt, die in diesem Fall im Botanischen Garten lag. Dort hielt es den Mann nach dem 29. Januar 1989 nicht länger, und er brachte sich in Erinnerung. Man schlug ihm mehrere Stellen der passenden (DM-)Kragenweite vor, darunter ihm das zum Landesamt aufgemotzte Referat für Entwicklungshilfe beim Wirtschaftssenator am besten gefiel. Vielleicht, weil es mal was Neues war. Denn mit Entwicklungspolitik hatte er bislang nichts zu tun. Nun gab die SPD sich von der Argumentation der AL und des SPD -eigenen Arbeitskreises Nord-Süd beeindruckt und erklärte sich bereit, dem Landesamt näherzutreten. Gemeinsame Grundsätze, die sehr schön sind, wurden ausgearbeitet und Schwerpunkte gesetzt, nämlich Umwelt und Nicaragua, auf die Rot-Grün sich leicht einigen konnten.

Es war einmal ein großes Entdecken, daß die satten und die hungrigen Menschen in Form von Männern und Frauen vorkommen, und daß die unterschiedlichen Anteil an der Welt haben. Die Frauen beispielsweise haben an der Arbeit sehr viel, an Reichtum und Macht wenig Anteil. Das ist in aller Welt so und sollte sich, so sagen alle Menschen, die fortschrittlichen Willens sind, ändern. Im Süden hat eine westlich und männlich orientierte Agrarpolitik die Frauen, zum Schaden von Mensch und Natur, aus der Landwirtschaft gedrängt. Die über den Internationalen Währungsfond dem Süden aufgezwungene exportorientierte Marktwirtschaft hat die bleischwere Last des bloßen Überlebens wie nie zuvor den ohnedies bedrängten Frauen auf die Schultern gelegt. Da muß geholfen und verändert werden. Dringend.

Berlin ist nun keine Insel mehr und trägt sich mit Hauptstadthoffnungen. Allenthalben gibt es ein großes Warnen, es dürfe in der Schizophrenie von nationaler Euphorie und sozialer Angst nicht die Dritte Welt vergessen werden. Das wird nicht immer uneigennützig gesagt, aber es ist doch wahr. Es gibt eine große Gefahr, daß die Festung Europa und im übrigen auch USA und Weltbank des nicht so recht lukrativen Dauerproblems Süden überdrüssig werden. Afrika zum Beispiel, sagt die Weltbank, ist einfach nicht demokratisch genug. Das ist zweifelsohne richtig, aber zum Durchdrücken der ausblutenden Strukturanpassung hat es gereicht. Was Berlin sich vorgenommen hat, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Ziel dieses Senats ist es, „zu einer umfassenden Schuldenstreichung und zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung als Voraussetzung für eine selbstbestimmte Entwicklung in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu kommen und der eigenen Verantwortung der Bundesrepublik für die globalen Probleme durch ein verändertes Verhalten Rechnung zu tragen. Der Senat wird in diesem Sinne auf Bundes- und EG-Ebene aktiv werden.„ So steht es in den von Rot-Grün verabschiedeten Leitlinien. Aber was wird zur Verwirklichung dieser Zielsetzung getan?

Eine kompentent, erfahren und engagiert geführte Instanz im Senat, die sich in der von Ost-West-Hysterie geschüttelten Metropole Berlin für die Belange der Menschen im Süden einsetzt - und das heißt hier und heute am dringlichsten der der Frauen -, eine Instanz, die Entwicklungsanliegen in kommunales Handeln einbringt (kein Tropenholz in kommunalen Bauvorhaben, oder, ganz aktuell, das von Kürzung bedrohte entwicklungspolitische Informationszentrum auffangen). Eine Instanz, die phantasievoll und nach Kräften die vielfältigen Ansätze in Stadt und Region unterstützt. Dabei muß sie auch da aktiv und mutig sein, wo es derzeit nicht gern gehört wird (von Armut etwa darf in Bonn geredet werden, von IWF -Politik und Strukturanpassung aber nicht). Diese Hoffnung gab es. Es war einmal? Um Dementis wird dringend gebeten.

Claudia von Braunmühl

Die taz-Gastautorin ist Sozialwissenschaftlerin und Publizistin auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik und arbeitete als Beauftragte des DED in Jamaica.