Besuch im Dornröschen-Dorf

■ Im Umland unterwegs: Zarrentin erwacht aus dem Sperrgebiets-Schlaf und will Touristenort werden

Wenn eine Nonne mit dem Teufel vögelt, kann da was Gutes bei herauskommen? In Zarrentin ja. Als das Glöckchen der Klosterkirche zu leuten anfing, ehe die beiden richtig loslegen konnten, floh der Teufel, und das so hastig, daß er das Netz voll köstlicher Fische, die er seiner Liebsten mitgebracht hatte, in den Schaalsee fallen ließ. Seitdem gibt es dort die seltenen Marenen. Sie ähneln den Forellen, sind aber größer und schmecken besser. Kein Wunder, daß die Zarrentiner der lebenslustigen Nonne so dankbar sind, daß sie die Marenen in ihr Stadtwappen aufgenommen haben.

Angeln durften die Leute von Zarrentin allerdings bis vor wenigen Wochen nur vom Ufer aus. Ihre Boote faulten am Steg. Denn auf dem See, dessen Westufer zur Bundesrepublik gehört, durften nur die Grenztruppen Patrouille fahren. Mit einem privaten Motorboot kurvte einzig ihr oberster Befehlshaber, der General Bär

über den See. Er residierte auf einer malerisch gelegenen Datscha am Seeufer, die dem Besitzer zur „Sicherung des Grenzgebiets“ weggenommen worden war.

Zarrentin, die kleine Stadt am Schaalsee lag dreißig Jahre lang im Sperrgebiet. „Das war wie im Dornröschenschlaf“, sagt der Maler und Lackierer Reinhard Baum: Verwandtenbesuch aus der DDR nur nach einem langwierigen Antragsverfahren, Besuch aus dem Westen gabs gar keinen. Grenzerpatrouillen auf jedem Steg, hinter jedem Baum. „Wir wurden so gut bewacht, wir konnten Tür und Tor unverschlossen lassen“. Es gab auch Spaß: „Wir brauchten nur ein Hemd und ein Paar Schuhe ins Schilf legen, dann gabs Großalarm, dann fielen die Grenzer in Laufschritt, weil sie dachten, es wollte einer in den Westen schwimmen.“

Zarrentin hat gut 2000 Einwohner und gilt als Stadt. Aber die großen Backsteingehöfte, die

breiten Alleen auf den Hügel über dem See geben ihm den Charakter eines großen, wohlhabenden Dorfes. Der Reichtum des Orts sei vor der Teilung Deutschlands von den Sommergästen gekommen, sagt die Tischlersfrau Brigitte Krühn. „Früher hieß das 'Kraft durch Freude‘. Das war das, was heute bei uns die Gewerkschaft ist. Da kamen ja immer so viele Gäste! Mein Mann, der ist als Junge mit dem Fuhrwerk immer zum Bahnhof gefahren und hat die Leute mit ihren Koffern abgeholt.“

Auch heute sind Brigitte Krühns Zimmer schon wieder ausgebucht. Meist ältere Leute aus Hamburg sind es, die den Ausflugsort ihrer Jugend wiedersehen wollen. „Wovon sollen wir auch sonst in Zukunft leben?“, fragt Brigitte Krühn. Die Schuhfabrik des Ortes schließt zum ersten Juli. Wenn der Staatsvertrag in Kraft tritt, werden in Zarrentin 60 Leute, fast nur Frauen, ar

beitslos sein.

Auf dem Kolonnenweg hinterm Grenzzaun, wo einst Jeeps fuhren und Hundeführer Hunde führten, spazieren jetzt die Wessies. Die hohen Wachtürme sind verschlossen, schade. Aber in die kleinen Fertigbau-Bunker in Tarnfarbe, die mit der Kranöse auf dem Dach, da kann man rein. Einmal Grepo sein, Schilf, See und das Ufer des goldenen Westens durch die Schießscharte sehen.

Der Rückweg in die Stadt führt an den Überresten gesprengter Häuser vorbei. Hier, so dicht an die Grenze durften noch nicht mal die Zarrentiner. Das gesamte östliche Ufer darf nicht betreten werden. Auch das Baden ist verboten, nicht wegen des Naturschutzes, sondern weil das Wasser mangels Kläranlagen mit Keimen überlastet ist. Eine Ringleitung soll zukünftig den See vor Gülle und Scheiße schützen, im Osten und im Westen.

Michael Weisfeld