Weibliche Gehorsamsübungen

■ Auch im Zeitalter der Emanzipation wollen Frauen mit der Lust am Leiden leben, propagiert Sina Aline Geißler in ihrem neuen Buch: „Ich bin Masochistin.“ Der 'Stern‘ titelte: „Frauen erzählen von ihrer Lust auf harten Sex und Unterwerfung.“ Der Protest blieb nicht aus.

Bäuchlings und in „lustvoller“ Erwartung liegt die Frau über dem Stuhl. Hinter ihr steht ein Mann. Die Hand mit der Peitsche zum Schlag auf ihren mit schwarzen Spitzen bedeckten Hintern erhoben. Das Bild ist inszeniert, es ist ein „Spiel“ und heißt: Sado-Masochismus.

Der 'Stern‘ hat mal wieder zugeschlagen und Anfang März eine „geile story“ veröffentlicht. Titel: „Frauen erzählen von ihrer Lust auf harten Sex und Unterwerfung. Sina Aline Geißler bricht ein Tabu: Ich bin Masochistin.“

Stapelweise gehen seitdem Protesterklärungen in der Redaktion ein. „Dieser Artikel stellt eine neue Stufe von Frauenfeindlichkeit dar“, empörte sich eine Frau aus der zu diesem Anlaß gegründeten Hamburger Frauengruppe. Sie wollten nicht die Frauen anklagen, die sich als Masochistinnen bekennen, sondern sie seien gegen eine Berichterstattung, die Gewalt gegen Frauen wieder salonfähig macht und legitimiert. „Der (Artikel) geht weiter, als das schon 'normal‘ gewordene sexistische Titelblatt.“

In der Tat, der 'Stern'-Artikel ist beängstigend und gefährlich, weil er verallgemeinert und scheinbar den Trend meldet, Frauen wollen in ihren Männerbeziehungen als Sklavinnen benutzt und erniedrigt, aber als „Frauen geliebt“ werden. Doch die „Trendmeldung“ in dem Artikel stützt sich lediglich auf die Aussage von zwei Frauen, die beteuern, sie liebten es von Männern vergewaltigt, geschlagen, gefesselt und gefoltert zu werden. Sie liebten es Befehlsempfängerinnen zu sein und Männer zu bedienen.

Am Ende des 20. Jahrhunderts liefert eine Frau den Stoff für das neue Frauenbild: Im Bett die Sklavin, auf dem gesellschaftlichen, beruflichen Parkett die Emanzipierte. Die „Tabubrecherin“ ist die Autorin Sina Aline Geißler, die sich selbst eine emanzipierte Frau nennt. Vor einigen Monaten habe sie mit einer 'Stern'-Redakteurin gesprochen und sich von einer Fotografin auch in gestellten, „eindeutigen“ Szenen ablichten lassen. Drei dieser Fotos waren im 'Stern‘ zu besichtigen: Frau Geißler vor einem Mann knieend, der die Hand zum Schlag erhoben hat. Frau Geißler mit heruntergezogener Jeans über einem Stuhl gebeugt. Und Frau Geißler mit groß aufgerissenen Augen, während ihr Gesicht von einer Männerhand brutal zusammengedrückt wird. Der Mann hat auf den Fotos nie ein Gesicht.

Sina Aline Geißler sagt nun selbst, sie sei über den 'Stern'-Bericht nicht sehr glücklich. Sie habe weder die Endfassung des Artikels zu sehen bekommen, noch sei sie an der Auswahl der Fotos beteiligt gewesen. Der 'Stern'-Artikel habe eine andere Intention als ihr Buch zum Thema Masochismus und sie nun Mühe, den angerichteten Schaden wiedergutzusammen. „Es ist eben ein großer Unterschied, ob eine Frau in der Selbsterfahrungsgruppe über ihre Sexualpraktiken redet, ob sie darüber ein Buch schreibt, oder ob es eine 'Stern'-Aufbereitung des Themas ist. Denn das ursprüngliche Subjekt wird zum entpersönlichten Objekt der Begierde“, sagt die Sexualwissenschaftlerin und Psychologin, Margret Hauch. Es kann eigentlich nur Naivität oder Koketterie sein, wenn sich Sina Geißler jetzt über den reißerischen Ausverkauf ihrer Person beklagt. Denn Frau Geißler ist Journalistin und kennt das Geschäft. Und der 'Stern'-Artikel wirkt sich sicherlich verkauffördernd auf ihr Buch aus.

Sina Aline Geißler hat sich ihre Erlebnisse von der Seele geschrieben. Für sie ist masochistische Liebe das Non-plus -ultra weiblichen Empfindens. Sie befragte noch ein paar andere Frauen und machte aus all dem eine Wahrheit: Jede fünfte Frau sei masochistisch „veranlagt“, nur wagten viele der Betroffenen nicht, es zu zugeben. Ihre Initiative soll diesen Frauen helfen, sich endlich normal zu fühlen. Der 'Stern‘ griff zu.

Sina Geißlers These: Auch im Zeitalter der Emanzipation wollen Frauen mit der Lust am Leiden leben, ließ die 'Stern‘ -Macher den Zündstoff wittern. Widmet die bekennende Autorin am Schluß ihres Buches gar der Frauenbewegung noch ein „Rechtfertigungs„-Kapitelchen: „Doch, sehr verehrte Frau Schwarzer, es gibt Frauen, die sich freiwillig einem Mann unterwerfen. Sehr viele sogar. Und ich bin so eine... Ich bin eine freie, eine emanzipierte Frau. Und ich will in Ketten liegen, und ich will gepeitscht werden - und zwar von einem Mann.“

Wenn die Welt einfach gewickelt wäre, könnte Frau messerscharf schließen: Frau Geißler spinnt eben ein bißchen und hat außerdem Alice Schwarzer gegenüber ein schlechtes Gewissen, - und die bösen 'Stern'-Männer haben zugegriffen, denn das paßt alles gut in ihr frauenfeindliches Weltbild. Das ist sicher ein wichtiger Aspekt dieser Geschichte, leider ist die Welt aber nicht einfach gewickelt, sondern kompliziert.

Aus der 'Stern'-Redaktion ist zu erfahren, daß die „Sina -Story“ auf Beschluß von oben auf dem Titel landete und auch, daß der Artikel „redaktionell überarbeitet“ wurde. Aber alles andere war das Werk von Frauen. Die bekennende Masochistin ist freie Journalistin, den frauenfeindlichen Artikel schrieb die Redakteurin Ulrike Posche, die gräßlich schönen Erniedrigungsfotos stammen von der renommierten Fotografin Herlinde Koelbel. Es ist zum Weinen!

„Es gehört zum Zeitgeist, daß dieser ganze Schlamm von Frauen zubereitet wird, die anscheinend noch nicht einmal ahnen, daß der Lohn für diese Judasarbeit niemals so hoch sein kann wie der Preis, den auch sie letztendlich dafür zahlen werden,“ schreibt 'Emma‘ in ihrer April-Ausgabe dazu. Falsch ist das wohl nicht direkt - aber reicht das wirklich, den „bösen“ 'Stern‘ und ein paar zeitgeistige „Verräterinnen“ verantwortlich zu machen? Wie kann ein solcher „Zeitgeist“ überhaupt entstehen - mit Frauenhilfe, Frauenunterstützung und -zustimmung?

Margarete Mitscherlich schreibt in ihrem neuen Buch über weiblichen Masochismus: „Die Tatsache, daß bei Frauen masochistische Phantasien häufiger auftreten als bei Männern, dürfte aber auch auf ihre jahrhundertealte soziale und familiäre Unterdrückung zurückzuführen sein. Es gab für sie nur sehr begrenzte Auswege und Methoden, um eine hilflose und erniedrigende Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen... Die Frau als Opfer, als Sich -Aufopfernde in Familie und Sexualität gehört also seit langem zum Bild der Frau und wurde von der Gesellschaft als normal zu erwartendes Verhalten der Frau angesehen.“ Welche Frau bei uns ist denn frei von all dem? Nirgends wahrscheinlich so deutlich sichtbar wie beim Thema Sexualität müssen wir mit Ungereimtheiten und Widersprüchen

-auch Tabus! - umgehen, geprägt von einer umfassenden Erziehung zu Demut, zum Dienen und zum Ertragen männlicher Gewalt. Sich dagegen zu stellen, erfordert Mut: den Mut, Fehler zu machen, den Mut, sich außerhalb der gesellschaftlich vorherrschenden Normen zu stellen und nicht zuletzt den Mut Einsamkeiten in Kauf zu nehmen.

Es gibt keine „freie Frauen“, da irren Sina Aline Geißler und Alice Schwarzer gleichermaßen. Und es nützt keiner Frau, die „freie Frau“ als Realität zu behaupten, ganz gleich ob „freiwillig in Ketten“ oder „freiwillig Verräterin“. Auch die „freiwillig faust-fickenden freien Frauen“ in manchen neuen SM-Lesben-Pornos halte ich für fragwürdig.

Das heißt aber nicht, daß Frauen für ihr Tun und Lassen nicht verantwortlich zu machen sind. Die Frauen, die an diesem 'Stern'-Artikel mitgewirkt haben, sind Mittäterinnen an einer äußerst sexistischen, lebensgefährlichen Propaganda gegen Frauen. Sie werden selbst am besten wissen, was davon auf ihrem eigenen Mist gewachsen ist und was ihnen eventuell redaktionell untergeschoben wurde.

Allein wie die Entwicklung von Sina Aline Geißler zur „Masochistin“ dargestellt wird, - sie sei mit behutsamen Eltern geschlagen gewesen und erhielt keine Ohrfeigen -, müßte sämtliche Kinderschutzverbände und Mädchenprojekte im Lande auf die Barrikaden bringen. (Wieviel Töchter wurden ob des 'Stern'-Artikels nun vorsichtshalber verprügelt?) Es ist richtig, den 'Stern‘ wegen dieses brutal-reißerischen Berichts anzugreifen. Es ist zu hoffen, daß der Artikel vom Presserat gerügt wird.

Das Hauptproblem liegt aber anderswo; solange es innerhalb der Frauenbewegung als durchaus schick oder gar feministisch gilt, „tabubrecherische“ SM-Frauenpornos zu produzieren oder ein „Anderssein“ von Frauen in Bezug auf „natürliche Opferbereitschaft“ durch Mutterschaft zu behaupten, sollten wir uns nicht wundern, wenn Frauen, die sich nicht einmal als Feministinnen bezeichnen, Bücher und Artikel schreiben, die unreflektiert patriachales Denken propagieren. Und mehr noch. Die amerikanische Feministin Andrea Dworkin, hatte sich ausdrücklich für eine Debatte um die „Euthanasie behinderter Säuglinge“ ausgesprochen - ganz im Zeitgeist ausmerzender Bevölkerungspolitik. Das hat mir zu denken geben.

Die Welt ist eben nicht einfach gewickelt und läßt sich nicht dauerhaft einteilen in: 'Stern‘ böse, Feministin gut. Es scheint, gegen Ende des 20. Jahrhundert modern zu sein, „tabubrecherisch“ um jeden Preis alles zur Diskussion und damit in Frage zu stellen und auch als machbar zu verkaufen. Was uns fehlt ist eine kritische, streitbare, aber solidarische, feministischen Moral, eine „feministische Ethik“ wie es Christina Thürmer-Rohr nennt. Ohne die werden wir immer wieder erleben, daß im Namen von „Selbstbestimmung“, „Freiheit“, „Tabubruch“ Frauen mit postfeministischen Gedanken auf Kosten anderer (Frauen, Männer, Kinder, Minderheiten im Lande oder Menschen andere Länder) die Kritik an der patriarchalen Gesellschaft verfälschen, ad absurdum führen.

Katja Leyrer