Umstellungskurs 1:0

Zum Vertragsentwurf über die Wirtschafts-, Währungs - und Sozialunion  ■ K O M M E N T A R E

Drei wichtige deutsch-deutsche Ereignisse des gestrigen Tages lassen sich auch so zusammenfassen: In Bonn wurde darüber beraten, was die Volkskammer demnächst zu beschließen hat, und draußen demonstriert die DDR -Bevölkerung gegen die Kosten, die sie tragen soll. Während sich die Anzeichen dafür verdichten, daß der für die Privaten gedachte Umstellungskurs von 2:1 weitgehend zurückgenommen wird, ist für die Politik jetzt amtlich mit einem Verhältnis von 1:0 zu rechnen - zugunsten der BRD.

Erstaunlich ist der Umfang des Souveränitätsverlustes nicht, den die Regierung Kohl der künftigen Regierung de Maiziere abverlangt. Die Bürokratie in Bonn hat gründlich gearbeitet, um bei der Frühjahrsbestellung kein Feld von Politik und Administration zu übersehen, das in der Erntezeit im Sommer oder Herbst von Belang ist. Die derzeitigen Streitfragen innerhalb Bonns und gegenüber der DDR sind ausgeklammert, die vorgeschlagene Paketlösung scheint machbar. Wo die Bundesbedürfnisse aber so deutlich formuliert sind, wird der Versuch, eine neue DDR-Verfassung zu gestalten, zum lächerlichen Unterfangen - die mutmaßlichen AutorInnen müssen von vornherein darauf achten, daß ihre Bestimmungen nicht mit denen des Vertragsentwurfs aus Bonn kollidieren. Von Unabhängigkeit zu sprechen war bei diesem Vorhaben schon bislang kaum noch gerechtfertigt; mit der Vorlage aus dem Westen wird sie zur Fiktion. Ehrlich wäre es, symbolisch wenigstens auf die einschlägigen Artikel zu verzichten, die die Staatssymbole nennen. Daß das DDR -Kleingeld seinen Nennwert in D-Mark behalten soll, reicht völlig aus.

Das Konstituierende an der Sitzung der Volkskammer ist damit nur wenig mehr als ein organisatorisch -institutioneller Akt. Die Identität des Parlaments und der neuen Regierung wird sich allenfalls an der Detail -Diskussion entwickeln. Und dabei sollte nicht vergessen werden, daß die Arbeit am „Leitsätzegesetz“, das den legislativen Übergang der DDR zur Marktwirtschaft ermöglichen soll, kurz vor dem Abschluß steht. Es ist ein Gesetzentwurf, der von der Volkskammer verabschiedet werden soll; angeboten wurde er als „Hilfestellung“, geschrieben wird er im Bundeswirtschaftsministerium. Die Volkskammerabgeordneten sollten so ehrlich sein, es auch unter dieser Bezeichnung anzunehmen.

Dietmar Bartz