Kündigung eines kritischen Knastpfarrers

Weil er der Bunkermentalität des Anstaltsleiters der JVA Diez nicht entspricht, soll der Pfarrer Janssen nach 17 Jahren seinen Hut nehmen  ■  Von Mathias Bröckers

Limburg (taz) - Mehr als 300 Gefangene der Justizvollzugsanstalt Diez haben in einem Brief an den Limburger Bischof Franz Kamphaus gegen die Kündigung ihres Gefängnispfarrers Janssen protestiert. Nach Willen des Anstaltsleiters Dr. Dieter Bandell soll der katholische Pfarrer Hubertus Janssen (51) nach 17jähriger Tätigkeit seinen Dienst als Seelsorger quittieren. Zum 31.Mai hat Bandell den zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und der Kirche geschlossenen „Gestellungsvertrag“ gekündigt und als Begründung ein „gestörtes Vertrauensverhältnis“ angegeben. Vorausgegangen war ein ergebnisloses Gespräch zwischen dem Anstaltsleiter und Vertretern des Bischöflichen Ordinariats Limburg, bei dem die Kirchenvertreter keinen Anlaß sahen, die Anstellung Janssens ihrerseits aufzuheben.

Die Kirche steht hinter Hubertus Janssen, den das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ in einer Solidaritätserklärung als „herausragenden Gefängnisseelsorger“ bezeichnet. Der Generalvikar des Bistums Limburg, Raban Tilmann: „Es gibt keinen objektiven Kündigungsgrund“. Zur Zeit wird geprüft, ob die einseitige Kündigung des Vertrags juristisch in Ordnung ist und welche Widerspruchsmöglichkeit die Kirche dagegen einlegfen kann. Der rheinland-pfälzischen Justizminister Caesar (FDP) wollte in seiner Stellungnahme keine Schuld auf einer der beiden Seiten suchen. Er konstatierte lediglich, daß das gestörte Vertrauensverhältnis zwischen Bandell und Janssen eine weitere Zusammenarbeit unmöglich mache. Damit stellte er sich hinter die Kündigung eines Anstaltsleiters, dessen zweifelhaften Qualitäten ihm spätestens bei seiner letzten Inspektion in der JVA Diez aufgefallen sein müßten: Auf seine Frage an die versammelten Vollzugsbeamten, ob es Unzulänglichkeiten bei Arbeitsbedingungen und im Gefängnisalltag gebe, erntete der Minister gedrücktes Stillschweigen. Dies schien ihm so beredt, daß er die Beamten aufforderte, ihm direkt, und nicht wie üblich via Anstaltsleitung, zu schreiben.

Eine Resozialisierungsstrategie zwischen „Sicherheit und Beton“ werfen die Gefangenen der Anstaltsleitung in ihrem Schreiben an den Bischof vor - ein Klima, wie es scheinbar nicht nur die Insassen, sondern auch das Personal des Diezer Gefängnisses zu spüren bekommt. Die Linie, in der sich der Anstaltsleiter Bandell sieht, hat das ehemalige RAF-Mitglied Klaus Jünschke - von 1979 bis zu seiner Entlassung in Diez inhaftiert - in seinem Buch „Spätlese“ beschrieben: Auf dem Flur vor dem Chefzimmer hängen in einer langen Reihe die Porträts der Direktoren des Zuchthauses von 1912 bis heute. Auf die Idee, die zwischen 1933 und 1945 tätigen „Kollegen“ abzuhängen, ist der Sozialdemokrat Bandell in seiner 20jährigen Amtszeit nicht gekommen. Statt dessen hat er sich eher an die Maxime gehalten, die ihm sein einstmaliger Dienstherr, der Justizminister (und Kohl-Intimus) Schreckenberger, vorgab: Hauptsache, keine Selbstmorde und andere Skandale.

Doch jetzt hat sich der JVA-Leiter mit der Kündigung des Gefängnispfarrers seinen eigenen Skandal gestrickt. Die Strickkurse, die Frauen der Pfarrgemeinde von Hubert Janssen für Gefangene geben, sind ihm ein Dorn im Auge, von Musik und Theaterveranstaltungen, Lesungen, Selbsterfahrungsgruppen und Diskussionen mit Politikern und Psychologen, die der Gefängnis-Pfarrer organisierte, fühlt sich der Anstaltsleiter bedroht. Wenn beispielsweise Gefangene einem anwesenden Politiker, gar vor den Ohren der zuhörenden Presse, ihr Herz auschütteten und Mißstände aufzeigten, führte dies stets zu unangenehmen Rückfragen. Dabei verteidigte Dr. Bandell seine Positionen nicht ohne Geschick. Klaus Jünschke berichtete, wie er beispielsweise das Verbot, auf der hauseigenen Druckerei eine Gefangenenzeitung zu drucken, begründete. Da das Ministerium verlange, daß solche Zeitschriften von ihm zensiert würden, er aber gegen Zensur sei, gäbe es keine Zeitschrift.

In einem derart zensurfreien Modellvollzug muß ein Seelsorger wie Hubertus Janssen als Störenfried wirken. Das war nicht immer so. Anfang der 70er Jahre schwebte dem ehemaligen Jugendrichter Bandell ein Reformstrafvollzug vor, wie er etwa in Hamburg praktiziert wurde. Er setzte auf Resozialisierung statt auf Verwahrung und fand in Pfarrer Janssen einen engagierten Mitstreiter. Doch um Reformen anzugehen, braucht man Format, um sie in einem konservativ geführten Bundesland durchzusetzen, Rückgrat - beides ging dem Juristen Bandell ab. Der Veränderungswille von einst wich einer nur auf das Halten der eigenen Stellung bedachten Bunkermentalität. Zwar diktiert er immer noch, wie unlängst zu seinem 20jährigen Dienstjubiläum, den Journalisten Parolen des humanen Vollzugs in die Blöcke. Der Seelsorger aber, der sich praktisch dafür einsetzt, gilt ihm mittlerweile als Sicherheitsrisiko. Janssens Engagement für die ehemaligen RAF-Mitglieder Manfred Grasshoff und Klaus Jünschke, seine Offenheit für die Interessen und Nöte aller Gefangener und Aktivitäten zur Veränderung des stupiden Verwahrvollzugs sind die „Verfehlungen“, die ihm das „gestörte Vertrauensverhältnis“ und die Kündigung einbrachten.

Hubertus Janssen will sich zur Sache erst äußern, wenn die Kündigung vom Justizministerium bestätigt wird. Die Gefangenen sehen in der Entlassung den Versuch, „sich jeglicher Kritik und Opposition in dieser Anstalt zu entledigen“. Doch ihr Appell hat nur geringe Chancen. Minister Caesar müßte sich schon dreimal drehen, bevor er den liberalen Kirchenmann (mit offiziell nur einer halben Stelle) dem treuen Staatsbeamten vorzieht. Da wird auch der Hinweis wenig fruchten, daß es sich bei dem Verhältnis von JVA-Leiter und Gefangenenseelsorger nicht um eine Ehe handelt, die einfach nach dem Zerrüttungsprinzip geschieden werden kann. Was dies für die 500 ausschließlich Langzeitstrafen absitzenden Insassen bedeutet, mag eine der jüngsten Vollzugsmaßnahmen andeuten. Der Umschluß wurde auf drei Tage reduziert, zum Ausgleich Fernsehen in der Zelle erlaubt. Der Fernseher wird aber nur denjenigen genehmigt, die „freiwillig“ arbeiten. Im Jubelartikel zur 20jährigen Amtszeit des Leiters heißt es: „Soziales Training für Gefangene (...) und ein umfangreiches Freizeitprogramm sollen helfen, daß die Zeit im Knast sinnvoll genutzt wird.“