Kein Platz für Kinder

■ In Hellersdorf fehlen über 3.000 Krippenplätze / Zukunft der Kindereinrichtungen unklar / CDU will Krippenplätze erhalten und alternative Modelle zulassen

Beim Zurückschauen sollten wir uns keine falsche Romantik leisten, weil sie uns für die Zukunft schwächt, sagte Helga Königsdorf. Nach dieser Wahl vom März. Tun wir also alles für die Zukunft und schauen uns - ganz nüchtern - nochmal um.

Der Kinderwagen schob sich leicht durch die Welt: bezahltes Babyjahr, ein Arbeitsplatz, der einem erhalten blieb, Krippen und Kindergärten, Schulhort, Ferienspiele und Ferienlager ... Niemand anderes als die Mutter hatte zu entscheiden, ob sie mit ihrem Kind zu Hause bleibt oder arbeiten geht. Erinnern wir uns genauer: Die Versorgung mit Krippenplätzen zum Beispiel war im Land recht unterschiedlich.

Die Situation in Berlin-Hellersdorf ist da sicher beispielgebend für viele schnell hochgezogene Neubauwohngebiete. Weitaus mehr Wohnungen wurden fertiggestellt als entsprechende Kindereinrichtungen zur Verfügung standen. So lebten am vergangenen Jahresende in Hellersdorf 6 886 Krippenkinder, für die nur 3 863 Krippenplätze zur Verfügung standen. Die Hellersdorfer Krippen waren in ihrer Belegungsstärke außerdem noch überlastet. Ein beträchtlicher Teil der Kinder mußte in Einrichtungen anderer Stadtbezirke untergebracht werden. Angesichts der für 1990 geplanten Wohnungen bräuchte man die doppelte Anzahl an Kindereinrichtungen, die in diesem Zeitraum fertiggestellt werden sollen.

Der Hellersdorfer Stadtbezirksarzt sah in einer Ende Januar erarbeiteten Studie nur eine Alternative: Reduzierung der geplanten Wohnungen bei Beibehaltung der Anzahl vorgesehener Kinderkrippenplätze. Denn ein Dach über dem Kopf allein genügt nicht, um mit Lebensraum versorgt zu sein. Da sind wir in unseren Ansprüchen etwas weiter. Frau wie Mann - denn es ist nicht nur eine Geldfrage, ob man neben Wohnen und Kinderhaben auch arbeiten gehen kann. Und was wird werden? Über die Anzahl der geplanten Wohnungen will inzwischen keiner vom Stadtbezirksrat mehr so genau Auskunft geben.

Überlastete und nicht genügend vorhandene Kindereinrichtungen sind das Diskussionsthema des Tages ebenfalls nicht mehr. Es geht nun um ihren Erhalt schlechthin. Um ausreichend und bezahlbare Alternativen für die Mutter, die nicht im Haushalt ihre Verwirklichung sieht. Was wir von der Partei, die die meisten Stimmen im Parlament unseres Landes hat, dahingehend zu erwarten haben, zeigte sich bereits zu Wahlkampfzeiten deutlich.

Besorgte Eltern der 20. Kindereinrichtung Hellersdorf hatten die Parteien zu sich eingeladen, um sie nach ihren Zukunftsvorstellungen für Mutter und Kind zu befragen. Von der CDU ist erst gar kein Vertreter erschienen. Das war noch vor der Wahl. Die Ängste der Eltern, die sich schon damals breitmachten, sind also heute mehr als berechtigt und groß. Die damals gestartete Unterschriftensammlung brachte über zweieinhalbtausend Namen ein, erreichte aber nie das Gremium, für das sie bestimmt war - den runden Tisch des Stadtbezirkes. Organisatorische Fehler, über die sich die Unterzeichner heute nicht mehr den Kopf zerbrechen können, denn die Forderungen, die mit einer derartigen Aktion verbunden sind, müßten jetzt ohnehin viel konkreter sein.

Das Gerücht der neuen Zeit: Kinderkrippen und -gärten werden zusammengelegt. Um Vor- oder Nachteile dieser Handhabung soll hier nicht gestritten werden, doch: es kommt ein zweites Jahr für die Mutter hinzu, in dem sie ihr Kind zu Hause betreuen muß, da für die Kinder in Hellersdorf erst nach einem weiteren Wartejahr freie Plätze vorhanden sind. Tröstende Worte an den zuständigen Stellen: Die hohe Arbeitslosigkeit wird den Bedarf an Krippen- und Kindergartenplätzen ohnehin beträchtlich senken.

In der Tat, Kindereinrichtungen sind unrentabel. Eltern und ErzieherInnen in Hellersdorf errechneten, daß monatlich für jedes Kind über 600 Mark aufgebracht werden müßten, damit sich die Einrichtung selber tragen kann. Staatliche Unterstützung ist also erforderlich. Und man muß fordern: so ausreichend, daß die Lebensfrage für die Mutter nicht das Geld oder die Tatsache, daß sie ihr Kind nirgendwo für den Tag unterbringen kann entscheidet. Dafür gibt es viel zu tun. Von den Verantwortlichen muß gefordert werden, daß die nicht unmittelbar Betroffenen für dieses Problem sensibilisiert werden.

Die neuen Verantwortlichen, die CDU, legte zu diesem Thema ein Positionspapier vor. Die Kinderkrippen sollen nach den Worten Ehrlichs, zuständig für Gesundheitswesen im Hauptvorstand'erhalten bleiben. Die Eltern sollen frei entscheiden können zwischen individueller oder Gemeinschaftserziehung ihrer Kinder. Das setzt laut Positionspapier die Zahlung eines Erziehungsgeldes für den Zeitraum von eineinhalb Jahren und eine Arbeitsplatzsicherung bis zum Ablauf des dritten Lebensjahres des Kindes voraus. Alternative Kindereinrichtungen sollen zugelassen werden.

Wie dieses Programm realisiert wird, bei den schon bestehenden Defiziten, blieb im Gespräch mit Herrn Ehrlich offen. So kurz nach der Wahl könne er noch keine konkreten Wege aufzeigen. Daß in seinem Papier auch von einem „nicht mehr so stark zu erwartenden Bedarf“ die Rede ist, scheint bei noch über 3 000 fehlenden Plätzen allein in Hellersdorf etwas vorgegriffen. Oder werden die Mütter damit schon auf ihren Platz zu Hause verwiesen? Man, aber vor allem frau wird sehen, was von den Versprechen der neuen Regierung bleibt; Grund genug besteht schon jetzt, ihre Rechte einzufordern.

Nadja Klinger