Schäuble und Stasi für Verdunklung

Bundesinnenminister will „großzügige Amnestie“ für Stasi-Mitarbeiter / Deren General Engelhardt klagt Datenschutz ein Bündnis 90 und Regierungsbeauftragter Fischer befürchten gezielte Verschleppung der Überprüfung der neuen DDR-Parlamentarier  ■  Aus Ost-Berlin Petra Bornhöft

Interessante, aber kaum überraschende Koalitionen bilden sich an der Frage, ob und wie die neuen DDR -Volkskammerabgeordneten auf ihr Stasi-Engagement überprüft werden sollen. So forderte Bundesinnenminister Schäuble (CDU) gestern eine „großzügige Amnestie für ehemalige Stasi-Mitarbeiter“. Gleichzeitig verlangte der langjährige Stasi-General Heinz Engelhardt, auf die Überprüfung der Abgeordneten zu verzichten, „um das international allgemein anerkannte Prinzip des Schutzes persönlicher Daten auch in der DDR zu achten“. Auch die PDS und der Demokratische Aufbruch (DA) argumentierten für die fortgesetzte Verdunklung der Vergangenheit.

Die Volkskammerfraktion von Bündnis 90 und Grüner Partei hingegen appellierte „in tiefer Besorgnis“ an das „Verantwortungsbewußtsein“ der ParlamentskollegInnen und forderte sie auf, ebenfalls ihre Bereitschaft zur Überprüfung zu erklären. Das entsprechende Schreiben präsentierten die amtierenden Minister der Bürgerbewegungen und der Grünen. Minister Gerd Poppe sagte, es gehe jetzt „um die Glaubwürdigkeit und moralische Integrität der Abgeordneten“. Wer würde den Satz nicht unterschreiben? Doch Werner Fischer, einer der drei Regierungsbevollmächtigten zur Stasi-Auflösung, wird mittlerweile mit Morddrohungen eingeschüchtert, weil er die Überprüfung verteidigt. Mit Schaum vor'm Mund behauptete Rainer Eppelmann (DA) gestern in seinem täglichen 'Bild'-Interview, Fischer verbreite „Hysterie und eine Lynch-Atmosphäre“ in der DDR. Gysi nicht minder deutlich: Bis Fischer an die Öffentlichkeit gegangen sei, „hätte es eine sichere und interne Lösungsmöglichkeit gegeben“.

Eppelmann und Gysi nahmen offenbar den massiven Widerstand von Apparat, Parteien und Regierung nicht zur Kenntnis. So berichtete Werner Fischer, daß noch am „vergangenen Dienstag zwischen den drei Regierungsbevollmächtigten für die Stasi -Auflösung und Ministerpräsident Modrow Einigkeit“ bestanden habe. Am Freitag dann habe der Generalstaatsanwalt Verfassungsbedenken gegen die Überprüfung geltend gemacht und behauptet, die drei Regierungsbeauftragten hätten kein Recht zur Akteneinsicht. „Auf diese Linie“, so Fischer, „schwenkten meine beiden Kollegen schnell ein.“

Am gleichen Freitag landete dann auf Fischers Schreibtisch der Brief von Stasi-General Engelhardt, in dem der ehemalige Stasi-Chef von Frankfurt/Oder Fischer des „dringenden Tatverdachts des Geheimnisverrates“ für den Fall der „Offenlegung von Personendaten“ bezichtigte (siehe Dokumentationen auf Seite 10). Seit Anfang des Jahres „unterstützt“ Engelhardt die „Auflösung des Amtes für nationale Sicherheit“, „weil es ohne uns, die wir ja über die Spezifik dieses Amtes Bescheid wissen, einfach nicht geht“ (so Engelhardt in einem 'Spiegel'-Interview).

Zur „Spezifik des Amtes“ zählt Engelhardt, daß MfS -Mitarbeiter „nirgendwann Straftaten begangen“ hätten. Eine Auffassung, der sich einige westdeutsche Politiker gern anschließen möchten. Innenminister Schäuble will nur „Kapitalverbrechen“ von der Stasi-Amnestie ausgenommen wissen.

„In der Sache“ habe Schäuble recht, ergänzte CDU -Rechtsexperte Heinz-Günther Hüsch und fügte hinzu: „Wir wollen keine Hexenjagd, keine neue Entnazifizierung.“ Auch Bundestagsvizepräsident Dieter-Julius Cronenberg warnte: „Wer wie 1945 etwa eine Entnazifizierung wiederholen will, würde damit viel Schaden anrichten.“ Von dem Schaden, den NS -Getreue zum Beispiel in der Justiz oder als Pädagogen angerichtet haben, sprach Cronenberg nicht. Im Sinne der nahenden Großen Koalition drüben (wie hüben) mahnte der verhinderte Generalbundesanwalt und SPD-MdB Wilfried Penner, man sollte sich „vor einer Art Kollektivverfolgung“ hüten.

Gegen derlei Stimmungsänderung wandten sich die Bürgerbewegungen. Minister Sebastian Pflugbeil hält es für „fatal, daß in der Bundesrepublik und in der DDR die Stimmung erzeugt wird, vielfacher Verfassungsbruch der Stasi und ihrer Mitarbeiter sei ein Kavaliersdelikt“. Einen möglichen Grund für die neue Schärfe in der Debatte deutete Werner Fischer an: Nach seinen Erkenntnissen arbeiten „32 Geheimdienste auf dem Territorium der DDR“. Was liegt näher, als daß die führenden Geheimdienst-Nasen in den Akten schnüffeln wollen? Minister Poppe wörtlich: „Wir wollen die Erpreßbarkeit des Parlaments verhindern.“ Siehe auch Seite 7