Böhme unter Stasi-Verdacht

■ Angeblicher Führungsoffizier belastet SPD-Vorsitzenden / Böhme bestreitet Vorwüfe

Berlin (taz) - Nach den Spitzenpolitikern der DDR-CDU, Lothar de Maiziere und Martin Kirchner, ist jetzt auch der SPD-Vorsitzende Ibrahim Böhme unter Verdacht geraten, jahrelang für den ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet zu haben. Der 'Spiegel‘ berichtet in seiner neuesten Ausgabe detailliert über die angebliche Informantentätigkeit des SPD-Vorsitzenden. Das Hamburger Nachrichtenmagazin bezieht sich in seinem Bericht auf die Aussagen eines ehemaligen Stasi-Mitarbeiters (Deckname: Bruno Fritsch), der sich als einer von drei Führungsoffizieren Böhmes bezeichnet. Danach soll Böhme seit Ende der 60er Jahre bis in die jüngste Zeit regelmäßig und gegen Bezahlung Spitzeldienste für das Ministerium für Staatssicherheit durchgeführt haben. Neben den Aussagen Fritschs und eines weiteren ehemaligen Stasi-Mitarbeiters liegen dem 'Spiegel‘ keine Beweise vor, die den Verdacht gegen Böhme weiter erhärten.

Böhme selbst bestritt gegenüber dem 'Spiegel‘ jegliche Informantentätigkeit für die Staatssicherheit. Er bezeichnete die Verdächtigung als „infam“ und forderte eine Gegenüberstellung mit seinem angeblichen Führungsoffizier.

In einem Brief an den Vorstand der DDR-SPD schlug Böhme außerdem vor, bis zur Klärung des Stasi-Verdachtes gegen Spitzenpolitiker und Abgeordnete der Volkskammer „alle Informationsgespräche“ zwischen den Volkskammerfraktionen auszusetzen. Die DDR-SPD hatte am Donnerstag der CDU solche Gespräche angeboten, um die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung auszuloten. Anders als de Maiziere besteht Böhme auf einer Überprüfung aller Volkskammerabgeordneten auf ihre mögliche Stasi -Vergangenheit.

Nach den Aussagen Fritschs gegenüber dem 'Spiegel‘ hat Böhme von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre in Greiz (Bezirk Gera) unter dem Decknamen Paul Bongartz, von Mitte der siebziger bis 1986 in Neustrelitz (Decknahme Dr. Rohloff) und seitdem bis zur Wende aus Berlin (Deckname Maximilian) regelmäßig Informationen an die Stasi geliefert. Unter anderem - so Fritsch Fortsetzungen auf Seite 2

-sei Böhme auf den 1977 in den Westen übergesiedelten Schriftsteller Reiner Kunze angesetzt worden. Aus Neustrelitz, wo Böhme am Theater angestellt war, habe er „wertvolle Informationen“ aus der

Theaterszene geliefert. In Berlin habe Böhme „detailliert über Teilnehmer, Inhalte und Strategie der Friedensseminare“ berichtet.

Informant Fritsch wandte sich nicht selbst an den 'Spiegel‘, sondern wurde über die Aussagen eines anderen Stasi-Mitarbeiters vom 'Spiegel‘ ausfindig gemacht. Der von Fritsch als weiterer Führungsoffizier Böhmes angegebene „Kurt Mies“ bestätigte die Beschuldigungen nicht. Er kenne Böhme „nur aus der Zeitung“. Trotz der schweren Vorwürfe gegen Böhme konterkariert Fritsch seine Aussagen mit wohlwollenden Einschätzungen zur Person: Böhme sei „immer mehr gewesen als ein einfacher Spitzel“. Er habe „es nie wegen des Geldes getan“ und sich „immer für Andersdenkende eingesetzt“.

Ungeklärt bleibt, warum Böhme als angeblicher Stasi -Informant Kulturveranstaltungen mit systemkritischen Liedermachern organisierte, die ihn seine Stellung als Kreissekretär des Kulturbundes in Greiz kosteten, warum er nach der Biermann-Ausbürgerung 15 Monate in Stasi

Haft saß und auch die Stelle am Theater in Neustrelitz wegen fortgesetzter „Neigung zum Widerspruch“ ('Spiegel‘) verlor. Überdies wissen taz-Mitarbeiter aus eigener Erfahrung, daß bis nach der Wende - Treffen mit Böhme regelmäßig von der Stasi beobachtet und dokumentiert wurden. Auch die kürzlich beim Ostberliner 'basis-druck‘ veröffentlichten geheimen Berichte des MfS weisen Ibrahim Böhme - anders als den Stasi -Mitarbeiter und ehemaligen DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur

-als Objekt der staatlichen Überwachung aus.

Wenn Böhme wirklich über einen Zeitraum von 20 Jahren für das MfS gearbeitet hat, muß es umfangreiche Dokumente darüber geben. Nur sie können das auch vom 'Spiegel‘ eingeräumte Patt - „Aussage gegen Aussage“ - auflösen. Nachdem Böhme den Beginn der Gespräche zwischen SPD und CDU über eine mögliche Koalition mit der Aufklärung des Stasi -Verdachtes gekoppelt hat, wird er einer Akteneinsicht durch autorisierte Vertreter nicht im Wege stehen.

Matthias Geis