Bonn drängt DDR-SPD zu großer Koalition

■ Warnung vor politischer Lähmung des Landes durch Stasi-Vorwürfe / Wahlkämpfer Lafontaine hat nichts gegen Regierungsbeteiligung der SPD / Goldene Brücken für die Sozialdemokraten: „Arbeitsbündnis“ oder Ministerposten ohne formelle Koalition?

Bonn/Berlin (ap/afp/taz) - Als Wink mit dem Zaunpflahl kann man die Äußerungen verschiedener führender Bonner Politiker an die Adresse der Schwesterpartei in der DDR schon nicht mehr bezeichnen. In mehreren Interviews drängten Bonner Politiker die Ost-SPD, eine große Koalition mit der „Allianz für Deutschland“ einzugehen. Doch die Gespräche über eine Regierungsbildung dürften sich jetzt erst einmal verzögern, nachdem der Vorsitzende der DDR-SPD, Ibrahim Böhme, am Wochenende die Aussetzung aller Koalitionsgespräche bis zur Klärung der gegen ihn im 'Spiegel‘ erhobenen Vorwürfe forderte (siehe auch Seite 1). SPD-Vorstandsmitglied Martin Gutzeit warnte unterdessen vor einer politischen Lähmung des Landes durch die wiederholten Vorwürfe gegen führende DDR -Politiker wegen angeblicher Stasi-Mitarbeit.

Der deutschlandpolitische Sprecher der SPD, Hans Büchler, forderte die DDR-SPD in einem Interview mit der 'Bild am Sonntag‘ auf, sich in Regierungsverantwortung einbinden zu lassen. Begründung: „Die SPD darf sich nicht länger vor der konstruktiven Mitarbeit bei der Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland drücken.“ Gerade die SPD könne hier wichtige Beiträge leisten, etwa bei der sozialen Absicherung oder bei der Integration in den europäischen Einigungsprozeß. „Deshalb ist es unverzichtbar, daß die DDR -SPD ihre Wächterfunktion in eine große Koalition einbringt, sei es als Teil der Regierung oder als reines Arbeitsbündnis“, forderte Büchler. Auch die stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende der bundesdeutschen SPD, Herta Däubler-Gmelin, sprach sich für eine große Koalition aus.

Auch Wahlkämpfer Oskar Lafontaine möchte einer großen Koalition in Ostberlin „überhaupt nicht im Wege“ stehen. In einem Interview mit Radio Luxemburg wies der saarländische Ministerpräsident am Sonntag Spekulationen als „Unsinn“ und „völlig verfehlt“ zurück, er sei gegen eine große Koalition, um seine Wahlkampfstrategie nicht zu gefährden. Er sehe in einer Regierungsbeteiligung der DDR-SPD auch für den Wahlkämpfer Oskar Lafontaine „kein großes Problem“. Eine künftige DDR-Regierung werde auch mit Beteiligung der SPD die Versprechen einklagen, die Bundeskanzler Helmut Kohl abgegeben habe.

Ungeachtet der Aufforderungen aus den eigenen Reihen an die DDR-SPD erklärte Lafontaine, die Frage einer Regierungsbeteiligung sei die Entscheidung der DDR-SPD. Nachdrücklich riet er der Schwesterpartei aber, sich an ihr Wahlversprechen zu halten, nicht mit der DSU zu koalieren.

Was diese Frage anbelangt, so sind interessierte Kreise bereits bemüht, der SPD goldene Brücken zu bauen. In CDU -Kreisen wurde die Idee erörtert, SPD-Minister in ein künftiges Kabinett aufzunehmen, ohne einen formellen Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten abzuschließen. So könne die SPD ohne Gesichtsverlust an einer Koalition teilnehmen, an der auch die DSU, die Schwesterpartei der bayrischen CSU, beteiligt sei. Die Äußerungen Büchlers über ein „reines Arbeitsbündnis“ als Alternative zu einer Koalitionsregierung stoßen dabei in das gleiche Horn.