„Arbeit 90“ - nur eine Idee

■ Der Politikwissenschaftler Peter Grottian von der FU wirft dem rot-grünen Senat beschäftigungspolitische Inkompetenz und Tatenlosgikeit vor / Arbeitslosigkeit unter der „Wolke DDR“ versteckt

Der rot-grüne Senat betreibt Beschäftigungspolitik wie ein Beerdigungszeremoniell dritter Klasse. Die Arbeitslosen werden abgeliefert, ihre Häupter mit Frühlingsblumen und staatstragenden Reden bekränzt. Vom konservativ-liberalen Senat sind wir ja noch wenigstens Pieroth-inszenierte Beerdigungsfeste mit suggestiven Hoffnungsschimmern gewohnt, beim rot-grünen Senat bleibt nur noch der schale Geschmack eines beschäftigungspolitischen Leichenschauhauses. Ernsthafter: Was der rot-grüne Senat hier einer kritischen Öffentlichkeit zumutet, übersteigt selbst für Zyniker das Übliche. Da wird von SPD und AL gleichermaßen im Wahlkampf in der Beschäftigungspolitik ein Aufbruch reklamiert.

Eine beim Regierenden Bürgermeister Momper „hoch aufgehängte“ Sonderkommission „Arbeitsplätze für Berlin“ soll zur Schalt- und Energiezentrale (besser wohl „schalk und elegiezentrale“. sezza) für konzeptionelle Perspektiven werden. Nach fast einem Jahr: Es brauchte geschlagene zehn Monate bis die Kommissionen arbeiteten, Ressorts blockieren sich, kaum Diskussionen über konzeptionelle Perspektiven, Ritual der Bedenklichkeiten, allenfalls Einigkeit, daß bitte fast nichts passieren darf, was einen Hauch von Querbürstigkeit haben könnte, die Position der selbstverwalteten Betriebe einmal ausgenommen. Schlimm: keine politischen Vorstellungen bei den zuständigen Senatoren. Bei Wagner, so hört man, ein Minuten-Zeitbudget für Beschäftigungspolitik, lieber Basteln an großräumigen Verkehrsplanungen. Das Schlimmste: Kein politischer Streit. SPD und

AL halten sich inkompetent bedeckt, Gewerkschaften und Arbeitgeber halten unter dem Tisch des Nichtstuns Händchen, Arbeitslose bleiben stumm.

Aber die auch sonst so engagierten Senatorinnen finden keinen Arbeitstag, um gemeinsam die Frauenerwerbslosigkeit zum Streitthema zu mahen. Die Öffentlichkeit ist müde geworden. So paßt es zum symbolischen Ritual des rot-grünen Senats, jetzt Arbeitslosigkeit hinter der einigenden Wolke DDR zu verstecken. Das Programm „Arbeit 90“ enthält außer der guten Idee der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft fast nur rot-grüne Tupfer auf einem Denkmal für Pieroth. Nichts zeugt von einer rot-grünen Beschäftigungsvorstellung, das Programm ist schwarz - denn irgendwo lila, grün oder rot. Erstarrtes Warten auf die beschäftigungspolitische Wirkung der Hauptstadtmetropole heißt die Senatsparole.

Wenn es denn noch irgendwo minima moralia gibt, dann sind drei Konsequenzen unausweichlich: Die Sonderkommission muß zum Diskussionsforum wirklich konzeptioneller Überlegungen werden - gerade angesichts der deutsch-deutschen Situation. Aber deshalb ist eine erneute Diskussion über soziale Grundsicherung und selbstgesuchte, gesellschaftlich finanzierte Arbeitsplätze - gerade für die DDR - notwendig. Der politische Streit muß neu entfacht werden, gerade weil es keine zusätzliche Deklassierung von Langzeitarbeitslosen durch Übersiedler geben darf.

Man muß das Unvorstellbare denken. Wenn der Senat nichts oder zu wenig tut, vielleicht können die Banken mit einem zinsgünstigen Kredit ein unorthodoxes Beschäftigungsprogramm auflegen helfen, das sich nicht nur in Qualifizierungsmaßnahmen verstrickt.

Läuft es so weiter, kann der Senat wegen beschäftigungspolitischer Untätigkeit geschlossen werden, denn es könnte sein, daß die beschäftigungspolitischen Wirkungen nicht bemerkt werden (gilt wohl für fast alles, was rot-grün verbricht. sezza).

Peter Grottian