EG soll Pariser Atomstromdumping untersuchen

Nach dem Eingeständnis der Electricite de France, mit subventionierten Billigpreisen die Konkurrenz auf dem europäischen Strommarkt zu verdrängen, soll die EG jetzt tätig werden / Grüne Europaabgeordnete verlangt Retourkutsche für Klage gegen bundesdeutsche Kohlesubventionen / EDF ist mit 240 Milliarden Franc verschuldet  ■  Von Gerd Rosenkranz

Der staatliche französische Energiekonzern Electricite de France (EdF) ist nicht nur der größte Atomstromproduzent der Welt, sondern gleichzeitig der mit dem höchsten Schuldenberg. Im Unterschied zu den Regierenden in Bonn haben die Energiestrategen westlich des Rheins in den siebziger Jahren die Strombedarfszuwächse nicht nur grandios überschätzt, sondern bis tief in die achtziger hinein auch noch so gehandelt, als seien die eigenen blödsinnigen Prognosen Wirklichkeit geworden. Wie nirgends sonst auf der Welt wurde Akw an Akw gereiht.

Derzeit liefern 55 Atommeiler Strom im Überfluß, wenn sie nicht gerade wegen technischer Defekte oder Kühlwassermangels ungenutzt vor sich hin strahlen. Weil weitere Blöcke im Bau sind und die Überkapazitäten ähnlich rasant in den Himmel zu wachsen drohen wie die Schulden, hoffen die staatlichen Stromer in Paris seit Jahren darauf, ihre überschüssigen Kilowattstunden ins Ausland, namentlich die Bundesrepublik, exportieren zu können - zu Dumpingpreisen. So richtig losgehen soll es nach 1992, wenn der europäische Binnenmarkt seine segensreichen Wirkungen entfaltet.

Neu ist nun, daß die Pariser Konzernoberen den von der bundesdeutschen Anti-Akw-Bewegung und den bundesdeutschen (Atom-)Stromkonzernen in seltener Eintracht vorgetragenen Dumpingvorwurf jetzt bestätigen. Dies geschah mit dem kürzlich bekanntgewordenen Geheimbericht der staatlichen Oberverwalter der französischen Atomwirtschaft (taz vom 8.März).

Das Eingeständnis aus Paris verleiht der Art und Weise, mit der Paris den maroden Staatskonzern EdF am Leben hält, neue Brisanz. Schon vor Monaten forderte die saarländische Europaabgeordnete der Grünen, Hiltrud Breyer, die Bundesregierung auf, „in Sachen Subventionierung der französischen Atomwirtschaft bei der EG-Kommission aktiv zu werden“. Es sei nicht länger hinzunehmen, erklärte die Abgeordnete aus dem Kohlerevier an der Saar, daß Frankreich auf EG-Ebene mit harten Bandagen gegen die Bonner Steinkohlesubventionen zu Felde ziehe und gleichzeitig den eigenen Atomstromkonzern mit „zahlreichen Privilegien“ konkurrenzfähig halte.

Auf 240 Milliarden Francs (rund 80 Milliarden D-Mark) belaufen sich nach Berechnungen der grünen Europafraktion gegenwärtig die Schulden der EdF. Mit andern Worten, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen wäre der Staatskonzern Eigenmittel: schlappe 49 Milliarden Francs - längst bankrott. Die „indirekte Subventionierung“ beginne damit, beschwert sich die Europaabgeordnete, daß die Atomstromer für langfristige Kredite lediglich einen Realzinssatz von 4,5 Prozent berappen müssen. Die üblichen Zinssätze für langfristige Staatsschuldpapiere schwanken in Frankreich immerhin zwischen knapp 10 und 16,5 Prozent. Die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) errechnete eine jährliche Zinssubvention von satten 18 Milliarden Mark. Auch bei den Ertrags- und anderen Steuern ist EdF nach Ansicht der Europagrünen gegenüber ausländischen Stromkonzernen erheblich im Vorteil.

Ein Großteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung werde zudem nicht von der EdF, sondern dem (ebenfalls staatlichen) Commissariat pour l‘ Energie Atomique (CEA) getragen. Die Milliardenkosten für den von der EdF betriebenen Schnellen Brüter Superphenix beispielsweise übernahm zur Hälfte das CEA. Außerdem müssen in Frankreich die privaten Stromkunden ihre Elektrizität im Vergleich zu den Industrieabnehmern noch teurer bezahlen als in der Bundesrepublik. Der Export des „billigen“ französischen Atomstroms funktioniere also „nur durch Kostenabwälzung auf die Haushalte“, schließt Breyer. Außerdem seien die wesentlich schwächeren Sicherheitsauflagen und Umweltschutzbestimmungen in Frankreich „etwa zur Hälfte“ für die Strompreisunterschiede zwischen Strom aus deutschen und französischen Kraftwerken verantwortlich. Bundesreaktorminister Töpfer sei um so mehr zum Eingreifen aufgefordert, als die erlaubten Radioaktivitätsabgaben insbesondere ins Wasser jenseits des Rheins um ein Vielfaches über den hierzulande genehmigten Grenzwerten liegen.

Atomstrom sei, so das Resümee von Breyer, eben „keineswegs die besonders billige Energie“, als die sie auch in der Bundesrepublik von interessierter Seite gerne bezeichnet werde. Ein Vorgehen der Bundesregierung gegen die französische Subventionspraxis sei um so dringlicher, als der geplante Stromexport aus Frankreich Massenentlassungen im bundesdeutschen Steinkohlebergbau zur Folge haben könne. Des weiteren fordert sie die Bundesregierung auf, Vorschläge zur Novellierung des Euratom-Vertrages zu unterbreiten, um eine Angleichung der Sicherheitsstandards bei Akws auf dem Stand der „besten verfügbaren Technik“ zu erreichen.

In Artikel 92 des EWG-Vertrags werden alle staatlichen Beihilfen für unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt erklärt, „die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen“. Selbst können die Grünen allerdings nicht gegen die französische Praxis klagen. Das ist den Mitgliedsstaaten vorbehalten. Ihre Fraktion werde jedoch, so Breyer, in den nächsten Wochen eine förmliche Beschwerde bei der Brüsseler Kommission einreichen.