Wer war Horst Pehnert?

■ Auch nach dem 11. Plenum von 1965 wurde im DDR-Kino zensiert. Der noch amtierende Filmminister Horst Pehnert zeichnet dafür verantwortlich.

Manfred Martin

DEFA-Filmemacher leiden am Weiße-Hunde-Syndrom. Ein Uralt -Rezept gegen Zensur- und Zulassungsbehörden aller Couleur. Irgendwo mußte ein weißer Hund durch den Streifen laufen, der gegen jede erzählerische Logik trippelte. Ein Happen für die Zensorenschere, ein Rauchvorhang für Konterbande dahinter.

Natürlich Kantinengeflüster. Wenn's so einfach wäre, die ominöse staatliche Zulassungskommission zu unterlaufen... Das Verfahren funktionierte denn auch tatsächlich nie besonders gut. Erstens hat die DDR zu wenige weiße Hunde und zweitens die Filmaufsichtsbehörde zu viele trainierte Seher. Eine politische Hürde, die erst einmal genommen werden wollte. Eine ideologische Barriere, die in den letzten Jahren stetig höher gebaut wurde. Für Filmemacher durchaus auch ein existentielles Problem.

Über all das, was in die DDR-Kinos kam (oder nicht kam), wachte eine Institution, die ganz bescheiden Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur heißt. Unter dem Mantel kulturfördernder Noblesse, den sie sich gern nach außen umlegte, hatte ihr Apparat vornehmlich mit Aufsichtsobliegenheiten zu tun. Bekam eine Produktion von der HV keine „staatliche Zulassung“, so fiel sie unter den Nongrata-Status. Ab ins Archiv!, hieß es dann von seiten der Zulassungskommission unter der Leitung von Dr. Kranz.

Bewertungsmaßstäbe für derartige rigide Zugriffe hatte niemand formuliert, es galt das Prinzip „Parteilinie“. Ein Mischmasch aus Vorurteil, reiner Lehre, Ignoranz, Besserwisserei, Bigotterie und kleinbürgerlichen Denkschemata. Ein Brei, der bis zur Perfektion verrührt wurde. Nicht von ungefähr erhebt sich vor den Augen jedes HV -Mitarbeiters, sobald er die graue Durchfahrt in der Berliner Otto-Nuschke-Straße passiert hat, jenes einst gefürchtete Riesengebäude am Werderschen Markt.

Die Kommandostränge zwischen SED-Zentralkomitee und Hauptverwaltung Film waren sehr kurz. Politbüromitglied Hager führte, der staatliche Leiter (stellvertretender Minister) ließ sich führen. Mal an langer, mal an kurzer Leine. Ein Stirnrunzeln aus dem wuchtigen Palais mit den tausend Fenstern führte regelmäßig zu heftigen Erschütterungen in den engen, winkligen Korridoren des grauen Hinterhofhauses. Verschleißposten und Schleudersitz

Die Therapie gegen solche Eruptionen hieß scharfe Vorkontrolle, HV-Chefs lavierten immer peinlich zwischen den Fronten. Künstlerische Libertinage und kritische Wirklichkeitssicht oder administrativer Transmissionsriemen der Partei? Vor dem Stolpern schützte Geschmeidigkeit allerdings keineswegs. An der HV-Spitze stand man Tag für Tag in einem unberechenbaren Lift. Wo er hielt, wußte am Morgen noch niemand. Belle Etage oder Keller? Ein Verschleißposten, seit Mitte der 60er Jahre ein Schleudersitz. Wer überleben wollte, mußte über ein subtiles System von Reglementierung und Großzügigkeit verfügen. Das Leben mit zwei Gesichtern, nicht jedermanns Sache.

Nach dem 11. ZK-Plenum im Dezember 1965, das klassenfeindliche Positionen bei der DEFA ausmachte, die staatliche Filmpolitik zu lasch fand und ein Halbdutzend Produktionen kassierte, verließ Günter Witt seinen Stuhl. Siegfried Wagner hatte den kaum angewärmt, da unterlief ihm 1968 Heiner Carows „Die Russen kommen“ (aufgeführt erst 1987).

Günter Klein scheiterte paradoxerweise an der DEFA-Blüte zu Beginn der 70er Jahre („Der Dritte“, „Die Schlüssel“ von Egon Günther; „Die Legende von Paul und Paula“ von Heiner Carow; Reisch/Rückers „Wolz„; eine ganze Reihe dokumentarer Spielfilme). Partei-Attest: zu unaufmerksam gegen Kritik an politischen Grundsätzen, zu lässig gegenüber polemischen Tendenzen und bürgerlichem Formalismus. Den „Zirkus“ sollte ein Mann mit einschlägiger Erfahrung zur Räson bringen. Hans Starke, einer vom Staatlichen Zentralzirkus, war redlich bemüht, die DEFA auf Mittelmäßigkeit zu dressieren. Aber er war schlichtweg überfordert.

Mitte der 70er Jahre kam endlich die Stunde für Horst Pehnert, ein Mann mit FDJ-Karriere, dem gelang, was keiner zuvor geschafft hatte: länger als zehn Jahre Filmminister zu bleiben. Chefredakteur der „Jungen Welt“ bis Ende der 60er Jahre, dann Abteilungsleiter beim Adlershofer Fernsehen. Als irgendeine Ausstrahlung kein Wohlwollen in den zuständigen ZK-Gremien fand, wechselte Horst Pehnert nichtsdestotrotz über ins Vorzimmer staatlicher Macht. Studium in Moskau.

Bei der Rückkehr wackelte der Filmminister-Stuhl, zwei Favoriten für die Vakanz handelte man zwar bereits (Filmwissenschaftler Hermann Herlinghaus und Dokumentarist Peter Ulbrich, dem der Verdacht auf Manipulation beim letzten Verbandskongreß derart anhängt, daß er im Herbst '89 freiwillig auf seine Präsidentenrolle bei der Leipziger Dokfilmwoche verzichtete), das Rennen jedoch machte Horst Pehnert. Flexibilität und Härte

Horst Pehnert, eine distinguierte Erscheinung zwischen Banker und höherem Beamten, zwischen Selfmademan und Public relation-Stratege, ist alles andere als der Typ des dumpf -gehorsamen Parteiarbeiters. Ein Intellektueller mit FAZ -Image, Sunnyboy-Charme, freundlichen Gesten und dunkelblauen Anzügen. Ein Mann für jede Jahreszeit. Den mühsamen Turn entlang beinharter Politbürobeschlüsse absolvierte er mit Akkuratesse und der Tugend einer gewissen Flexibilität. Rigoroser Amtsvorsteher und generöser Sachwalter - das Instrumentarium staatlicher Eingriffe entfaltete sich: zwischen Verbot und „Verbesserung“ liegt ein weites Feld aus.

Filmminister Pehnert steuerte allerdings zunächst den Kahn der aufmuckenden DEFA-Leute trotz heftiger kulturpolitischer Böen nach der Biermann-Ausbürgerung (1976) durch erstaunliche Gewässer. Szenarien, die seit dem 65er Schock Tabu waren, wurden verfilmt. Die DEFA lebte auf, das Publikum entdeckte die heimische Produktion wieder. Als Frank Beyers „Versteck“ verspätet und klammheimlich in die Kinos kam, hatte schon eine neue HV-Ära begonnen. Konrad Wolfs „Solo Sunny“ (1980) reflektierte noch einmal scharf und deutlich die gesellschaftlichen Alarmzeichen an der Wende zu den 80er Jahren, dann setzte der Rückzug in einen individuellen Klein-Klein-Realismus ein. Verklärung der Verhältnisse hinter pseudopolemischen Geschichten, soziale Spannungen galten als nichtexistent, die Liste der Tabus wurde sichtlich länger.

Der erste regressive Schlag der Hauptverwaltung Film traf Rainer Simons „Jadup und Boel“. Horst Pehnert verantwortete die Verweigerung der staatlichen Zulassung. Noch sieben Jahre später, als der Film, dem man Geschichtspessimismus vorwarf, in wenigen Kopien endlich im Kino war, wehrte Horst Pehnert sich mit ganzer Amtsautorität dagegen, daß er beim Nationalen Spielfilmfestival gezeigt wird.

Die Reduzierung der Kopienzahl als Mittel der Zensur entdeckte die HV allerdings schon weitaus früher. Ulrich Weiß erwischte es bei „Dein unbekannter Bruder“, nachdem das Komitee antifaschistischer Widerstandskämpfer (hinzugezogen als sachkompetent in Fragen staatlicher Zulassung) gegen die Gefühlsästhetik und den fehlenden kämpferischen Geist protestierte. Fünf Kopien, die Öffentlichkeit des Landes nahm das ungewöhnliche Erzählen Ulrich Weiß‘ gar nicht wahr. Zwei Jahre später wiederholte sich dieses Exempel an „Olle Henry“, einem Heimkehrer-Gleichnis. Wenig Kopien, wenig Wirkung. Argumentation: So war das damals nach '45 nicht, wir brauchen keine Grau-in-Grau-Zeitbilder und keine gebrochenen Helden. Fortan stand Ulrich Weiß, vielleicht die größte Begabung der DEFA, als Beschäftigungsloser im Beschäftigtenverhältnis. Seit acht Jahren keine Skript -Zustimmung, kein Drehbuch-Ja, kein Film. Vermißt wurde die Arbeiterklasse

Am 17. November 1981 druckte das „Neue Deutschland“ auf Seite 2 die Abrechnung des Erfurter Brigadiers Hubert Vater mit der jüngsten DEFA-Produktion. Vermißt wurde die Arbeiterklasse, eine optimistische Zukunftsbotschaft, der Held der neuen Honecker-Zeit. Ein Brief, plaziert an der Stelle des richtungweisenden Kommentars. In der HV geriet man in Aufregung.

So kam es vermutlich, daß die Familie Honecker persönlich „Erscheinen-Pflicht“ von Helmut Dziuba inspizierten. In Wandlitz, stets mit speziell gezogenen Kopien versorgt, schlug man die Hände über dem Kopf zusammen. Die Folge: Schnitte, Verzögerungen im Einsatz, schließlich die Aufforderung, diese Geschichte der Identitätskrise eines Mädchens, dem Zweifel an der moralisch-politischen Integrität ihres Vaters (eines Kreisvorsitzenden) kommen, nur in Stadtrandnähe einzusetzen.

Dann traf es Hermann Zschoche. Das Bildungsministerium (eingeladen in die Zulassungskommission) intervenierte bei „Insel der Schwäne“, Politbüromitglied Hager ordnete Verriß im „Neuen Deutschland“ an. Dabei war der ungewisse Schluß bereits in ein Happy-end uminszeniert worden. Und im letzten Jahr bekam die HV-Film eine Woche vor der Premiere von Zschoches „Grüner Hochzeit“ kalte Füße. Ein Polizistenwitz mußte eliminiert werden.

Allmählich sank die nationale Filmproduktion dank Gorbatschow-Abstinenz auf das Niveau von gediegenem Provinzialismus. Wer anderes erzählen wollte, wich aus ins Äsopische. Zurück in die Vergangenheit, um über die Gegenwart zu reden. Jeder versteckte Witz bekam Beifall, jede Anspielung auf tatsächliche Verhältninsse erntete Publikumszuspruch. Alibifilme

Das Elend dieser Triumphe mündete in eine verquere Sieg -Euphorie. Wenn ein Film durchkam durch die Instanzen, vergaß man zehn Eingriffe und zehn Ablehnungen. Mancher sprach gar mit Hochachtung vom Filmminister. Lothar Warnekes „Einer trage des anderen Last“ (Berlinale '89) wurde so zum Alibi-Film par excellence. Eine Legende als Realität, das Verhältnis Staat-Kirche als kameradschaftliche Gemeinschaft. Zu solcher Klitterung konnte selbst Kurt Hager Beifall klatschen. Und andere konnten sich brüsten, sie hätten einen „schwierigen Fall“ durchgebracht.

Wer allerdings glaubte, nach diesem Toleranz-Hymnus kämen andere Zeiten, der verkannte die fossilen Machtstrukturen und erstarrten Politmentalitäten gründlich. Zwar entließ die HV Film „Die Russen kommen“ und „Berlin um die Ecke“ (von Gerhard Klein, ein 65er Kellerfilm) in die Kinos, doch weitere Schritte verbot Horst Pehnert energisch. Noch im September 1989 schmetterte er den Versuch des Staatlichen Filmarchivs ab, Günter Stahnkes „Der Frühling braucht Zeit“ in die CAMERA-Spielstätten zu bringen. Verweigerung auch zur Vorführung anderer, bislang inkriminierter Streifen - selbst intern und unter Fachleuten. Und nur wenige Wochen später fand Horst Pehnert hehre Worte für die „Verbotenen“ der 60er Jahre und entdeckte sich selbst als mutigen Enteiser. Eine scharfe Wendung. Als deutscher Beamter immer seine Pflicht getan.

Zu den rund 60 verbotenen Dokumentarfilmen hat der Filmminister bisher allerdings kein Wort verloren. Dabei hatte er noch im Frühjahr für „Und freitags in die grüne Hölle“ angeordnet, daß er entweder geschnitten wird oder nicht ins Kino kommt. So geriet die soziologische Reportage über DDR-Fußball-Fanclubs um 50 Prozent amputiert in den Spielplan. Unerwünscht waren zum Beispiel Stadionauseinandersetzungen zwischen Zuschauern und Polizei. Wenn die Wirklichkeit nicht so ist, wie sie zu sein hat, so ändern wir eben ihre Abbildung. Das Morgenstern-Prinzip.

Nach eben diesen Korrektor-Maximen verfuhr jene Zulassungskommission, die entschied, welcher Film fürs DDR -Publikum geeignet ist und welcher nicht. Gelegentlich traf, bei internationalen Festivals, auch schon mal Horst Pehnert persönlich eine Vorentscheidung. Feliks Falks „Der Held des Jahres“, Zaorskis „Mutter Krol“ oder Bela Tarrs „Verdammnis“ fielen auf diesem Weg rasch durchs Raster. Die rechte Hand des Ministers

Was der Minister übersah, übersah garantiert nicht Dr. Kranz. Keine Chance für kritische Arbeiten aus Polen, Ungarn, Bulgarien, der CSSR oder Gorbatschows Sowjetunion. Der sozialistische Film, reduziert auf dümmliche Unterhaltung, platte Apologetik und runzlige Langweiler. Wollte in Filmclub über private Wege das „andere sozialistische Kino“ zeigen, scheiterte er garantiert am Plazet von Dr. Kranz. Denn das mußte schriftlich eingeholt werden, sonst gab es keine Projektion. Und Dr. Kranz wurde nicht müde stets zu verkünden, in Ungarn gäbe es nur Experimentelles, das niemandem zuzumuten wäre, in Polen sei alles zu trist und in der CSSR nage bereits auch der Zweifel.

Der Eklat des sowjetischen Filmfestivals im November 1988 war lange vorprogrammiert. Die Weisung zum Rückzug der sowjetischen Produktionen („Die Kommissarin“, „Der kalte Sommer des Jahres '53“, „Und morgen war Krieg“ u.a.) kam aus dem ZK-Gebäude, Horst Pehnert ordnete postwendend an. Und zeigte Eigeninitiative. Ein Import, der zum Einsatz im Dezember '88 vorgesehen war („Leb wohl, Gesindel“), wurde gleich mitrequiriert. Bis heute ist er in keinem Kino.

Und dann ist da noch der Leiter des Progreß-Filmverleihs Winfried Schade. Einer aus dem Hause Pehnert. Angesichts aktueller sowjetischer Filmproduktion („Der Diener“, „Der Museumsbesucher“ u.a.) packte ihn das kalte Grausen - nein, völlig ungeeignet für die DDR. Inzwischen steuert auch Winfried Schade einen prächtigen Wendekurs, der Makel staatsgefährdenden Sprenggutes fiel gleich im Dutzend von zuvor heftig befehdeten Filmen - von Piwowarskis „Yesterday“ bis Abuladses „Reue“. Peinlich die schnelle Auskunft von Progreß, dieser wichtige Film käme nun selbstverständlich in die DDR-Kinos, aber nicht gleich, Filmwissenschaftler hätten Bedenken gegen die BRD-Synchronisation geäußert. Seither ist man auf der Suche nach demjenigen, der dies gesagt haben soll.

Abwarten ist Beamtenpflicht, nichts übereilen, denn die HV schickt ja, trotz Auflösung der Zulassungskommission, immer noch einen Vertreter mit zu Ankaufsreisen. Zu welchem Zweck wohl?

Sollte demnächst in einer DEFA-Produktion ein weißer Hund die Leinwand queren, so ist daran garantiert die Zensur schuld. Sie hat geglänzt - durch Abwesenheit.