In Sachen Rabta noch auf Tauchstation

■ Das Bonner Außenministerium rückt zusehends ins Zentrum der Giftgasaffäre / Von Thomas Scheuer

Ein Jahr nach den weltweiten Skandal-Schlagzeilen ist es still geworden um die Beteiligung westdeutscher Technologie -Söldner an der Giftgasfabrik im libyschen Rabta. Hans -Dietrich Genscher kann ein Jubiläum feiern: Ein Jahr lang ist der freidemokratische Marathon-Minister erfolgreich abgetaucht. Dabei wird sein Außenministerium allmählich zum Magneten für die Fragezeichen, die um die ungeklärten Export -Skandale kreisen. Ob der Auswärtige Ausschuß des Bundestages am morgigen Mittwoch wohl endlich Antworten bekommt?

Die Volksvertreter der Oppositionsparteien im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages sind sauer: Über „Verschleppungstaktik“ schimpfen die Grünen, über „Wortbruch“ und „Mißachtung des Parlaments“ empören sich die Sozialdemokraten. Ihren Unmut hat Bundesaußenminister Hans -Dietrich Genscher mit seinem kaugummihaften Verhalten in der Affäre um die Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasfabrik im libyschen Rabta auf sich gezogen: „Seit fast einem Jahr taucht uns Herr Genscher ständig weg“, beschwert sich Norbert Gansel, langjähriger Rüstungsexportkritiker der SPD. Mal mußte der AA-Chef unbedingt die US-Regierung über Gorbatschows Bonn-Visite unterrichten, mal war er krank - immer dann, wenn die Abgeordneten den Außenminister im Ausschuß zur Libyen -Aussprache erwarteten, kam was ganz Wichtiges dazwischen. Dabei rückt Genscher immer mehr - zuletzt durch die 'Panorama'-Enthüllungen vom Dezember - ins Zentrum der Affäre.

Diskutieren wollen die Volksvertreter gerne mit dem Außenminister über Ungereimtheiten und Widersprüche im sogenannten Schäuble-Bericht vom Februar letzten Jahres. In dem 65-Seiten-Werk hatte der damalige Kanzleramtsminister Schäuble, mittlerweile Innenminister, dem Bundestag die Erkenntnisse der Regierung über die Beteiligung deutscher Firmen an der Giftküche in Rabta ausgebreitet - samt einer Chronologie, die darüber Aufschluß geben sollte, zu welchem Zeitpunkt Bonn was wußte.

Mittlerweile ist ziemlich offenkundig, daß mit dem Schäuble -Report lediglich ein weiteres Kapitel im Bonner Tarn- und Täuschmanöver aufgeschlagen wurde. Verschleiert werden soll, wann Bonn darüber im Bilde war, daß neben Imhausen auch die Salzgitter Industriebau AG (SIG) für Rabta aktiv war. Denn für die Firma, seinerzeit als Tochter der Salzgitter AG zu 100 Prozent in Bundesbesitz, trug die Bundesregierung die Verantwortung. Für den grünen Abgeordneten Lippelt steht fest, „daß im Bericht die entscheidende Stelle, eigentlich die Schlüsselinformation, frisiert worden ist.“

Frühestens im Sommer 1988 will Bonn erste Hinweise auf eine Beteiligung der Salzgitter erhalten haben. Zwar habe schon am 5. Juli 1985 die bundesdeutsche Botschaft in Moskau in einem Telex an das Außenministerium auf ein pharmazeutisches Projekt der Lahrer Imhausen-Chemie in Hongkong hingewiesen. Die Umstände aber, mutmaßte der Telex-Verfasser mit der Bitte um allergrößte Diskretion, ließen auf eine Giftgasanlage in Libyen schließen. Beteiligt sei, so hieß es nebulös, auch „ein deutscher Staatskonzern“. Die „nicht -östliche Quelle“ aber, aus der die Moskauer Botschaft seinerzeit schöpfte, läßt der Schäuble-Bericht im Dunkeln. Die enthüllte im vergangenen Dezember erst das TV-Magazin 'Panorama‘: Seine Informationen hatte der Botschaftsangehörige, der den Tip nach Bonn kabelte, aus berufenem Munde - vom Moskauer Salzgitter-Vertreter persönlich. Da, so sollte man meinen, kann der Verdacht ja nicht zu fern gelegen haben, bei dem erwähnten „deutschen Staatskonzern“ handele es sich womöglich um Salzgitter selbst. Wußten die Empfänger des Telex in Genschers Außenamt, daß als „nicht-östliche Quelle“ ein Konzern -Angehöriger gesprudelt hatte?

Aufklärung kann für die Bundesregierung eigentlich kein Problem gewesen sein: Den Aufsichtsrat des damals bundeseigenen Konzerns bevölkerten Top-Beamte dreier Ministerien. Entweder wußten die Konzern-Aufseher in Bonn also schon im Sommer 1985 vom Engagement Salzgitters in Rabta, oder sie wollten es partout nicht wissen. Schließlich, so behauptete jedenfalls ein Beamter in Washington gegenüber der taz, sollen schon ein halbes Jahr zuvor US-Stellen auf Salzgitter hingewiesen haben. Seit der 'Panorama'-Enthüllung ist für die grüne Abgeordnete Angelika Beer klar, daß „die Bundesregierung die volle Verantwortung für die Giftgasproduktion in Libyen trägt. Ein einziger Anruf bei Salzgitter hätte die Todesfabrik stoppen können.“

Exportskandal-Parallelen

Das Außenministerium rückt ins Zentrum der Giftgas-Affäre. Wie ein Magnet zieht somit ein Mann die vielen Fragezeichen auf sich, der dank seines schon sprichwörtlichen Gespürs für politische Untiefen über gut zwei Jahrzehnte alle Bonner Skandal-Klippen meisterhaft zu umschiffen verstand: Bonns Langstrecken-Minister Hans-Dietrich Genscher. Sollten ausgerechnet ihn die Antennen seines untrüglichen Instinktes im Falle Rabta im Stich gelassen haben?

Parallelen mit einem anderen Export-Skandal springen ins Auge: dem illegalen Verschub von U-Boot-Blaupausen nach Südafrika. Auch hier finden wir Salzgitter unter den beteiligten Firmen (ihr gehört der Schiffsbaukonzern HDW). Der Transfer fällt ebenfalls in den Verantwortungsbereich der seit Jahren FDP-gesteuerten Ressorts für Wirtschaft und Auswärtiges - wie auffälligerweise alle Exportskandale vom Atom-Tech-Verschub nach Pakistan bis zur Giftgas-Beihilfe für den Irak! Auch die Nebelkerzen während der mehrjährigen Verschleierungsmanöver kamen aus der gleichen Ecke. Genscher verneinte die für die Strafverfolgung wegen Verletzung des Außenwirtschaftsgesetzes relevante „erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen“ durch den U-Boot-Deal insgesamt fünf Mal und versuchte so, die Kieler Staatsanwälte auszubremsen. Immerhin kassierte Bonn im November 1989 wegen des Südafrika-Deals eine Rüge durch die UNO -Vollversammlung.

Komischer Zufall im Sommer 1985: Just in jenen Tagen, als aus Kiel die Nachricht vom Ermittlungsstart der Staatsanwaltschaft in Sachen U-Boot-Pläne im Außenministerium eintraf und Genscher sich darüber mit dem Wirtschaftsministerium beriet, lief in seinem Haus - in der gleichen Abteilung - auch das giftige Telex aus Moskau ein. Die Papierflüsse kreuzten sich regelrecht auf dem gleichen Schreibtisch. „Diese Koinzidenz“ findet der SPD-Abgeordnete Gansel „so unglaublich zufällig, daß sie eben unglaublich ist“. Eigentlich müßte im Hause Genscher in jenem Sommer allein das Wort „Staatskonzern“ Alarm ausgelöst haben. Kaum glaubhaft, daß da niemand auf die Idee gekommen sein soll, in der Moskauer Botschaft nachzufragen.

Salzgitter selbst leugnete im Januar letzten Jahres zunächst jede Libyen-Aktivität. Mittlerweile will der Konzern von Imhausen bösartig getäuscht worden sein. Zweifel an dieser Version drängen sich auf. Die vom Salzgitter -Management vollmundig angedrohten rechtlichen Schritte gegen Imhausen sind bisher jedenfalls bei keinem Staatsanwalt eingelaufen.

Salzgitters

Libyen-Erfahrung

Völlig unglaubwürdig ist die Ausflucht, aus den - angeblich für „Pharma 150“ in Hongkong - vorgelegten Rahmen-Daten (Temperatur, Luftfeuchtigkeit usw.) hätte bei Salzgitter niemand auf Nordafrika schließen können. Recherchen der taz ergaben, daß die Firma über jahrelange Libyen-Erfahrung im Chemieanlagen-Bau verfügt. Am 30. August 1981 nahm Oberst Gaddhafi in einer feierlichen Zeremonie den „Abu Kammash Chemical Complex“ in Betrieb. In großem Maßstab sollten dort u. a. der Kunststoff PVC und andere Basischemikalien hergestellt werden. Zu dem gigantischen Komplex gehört eine Meerwasser-Entsalzungsanlage und eine auf der Basis von Meersalz arbeitende Chlor-Elektrolyse-Anlage. Gebaut wurde die Fabrik von vier westdeutschen Firmen - unter ihnen: Salzgitter.

Geheimdienst-Spekulanten witterten immer mal wieder Giftgas in der Nähe des Abu Kammash-Komplexes. Als 1981 ein früherer Angestellter „einer deutschen Firma“ für ein Jahr nach Libyen gegangen sei, „wo er viel Geld verdient habe“, mutmaßte etwa der BND vage, der Mann baue womöglich neben dem Abu Kammash-Kombinat eine Anlage zur Herstellung des Kampfgases Lost. Mit der dortigen Chlor-Elektrolyse-Anlage könne nämlich ein Vorprodukt für Lost hergestellt werden. Erst im Herbst 1988 war sich der BND dann sicher, daß in oder bei Abu Kammash entgegen früheren Vermutungen keine chemischen Kampfstoffe produziert würden.

Bei Abu Kammash handelt es sich offenbar um eine harmlose Anlage. Von der taz befragte Experten bezeichneten die Anlage als Investitionsruine. Diese Einschätzung deckt sich mit Vermutungen, die libyschen Bauherren würden neuerdings Teile des Werkes als Nachschub- und Ersatzteilfundus für Rabta nutzen. Auf jeden Fall beweist Abu Kamash, daß Libyen für Dutzende von Ingenieuren und Technikern aus dem Hause Salzgitter keineswegs auf einem unbekannten Planeten liegt.

Im Dunkeln liegen bisher die Motive der Bonner Regisseure. Für die U-Boot-Pläne wurden Provisionen in Millionenhöhe verschoben. Auch bei Salzgitters Einsatz in Abu Kammash soll mit rund 40 Millionen Mark geschmiert worden sein. Analytiker des Rüstungs-Schwarzmarktes hegen seit längerem den Verdacht, daß aus den riesigen Provisionen illegaler Waffen- und Technologie-Exporte jeweils auch ein paar Groschen in schwarzen Kassen für verdeckte Parteienfinanzierung versickert sein könnten. Beweise dafür gibt es freilich bisher keine.

Eine personelle Schnittstelle im Filzgeflecht zwischen Industrie und Regierung markiert Salzgitter-Chef Ernst Pieper: Bevor er 1977 zu Salzgitter wechselte, war er nach verschiedenen Funktionen im Finanz- und Wirtschaftsministerium zeitweise als Leiter der Abteilung VIII („Industrielles Bundesvermögen“) im Finanzministerium selbst zuständig für die Kontrolle der Bundesunternehmen. Nach dem Kauf der Salzgitter durch die Preussag im letzten Herbst wurde Pieper Boß des neuen Gesamtkonzerns. Daß der SPD-Parteibuchträger Pieper Erhellendes zu den Affären beisteuern wird, ist vorerst nicht zu erwarten: Telefonisch verdonnerte er nach der 'Panorama'-Sendung seine Manager zum Schweigen.

Nach der 'Panorama'-Sendung forderte der Auswärtige Ausschuß eine „Fortschreibung“ des Schäuble-Berichts bis Januar an. Im Januar wurde das Thema bereits zwei Mal vertagt. Wenn der Ausschuß am morgigen Mittwoch wieder zusammentritt, könnte das unbequeme Thema ein Mal mehr durch Ost-West-Aktualitäten von der Tagesordnung gedrängt werden. Das Außenministerium hat es bereits abgelehnt, den von den Parlamentariern verlangten neuen Rabta-Bericht morgen vorzulegen. Hans-Dietrich Genscher macht es die Gunst der deutsch-deutschen Stunde derzeit ohnehin leicht, sich zu allerwichtigsten Gesprächen rund um den Globus abzu-jet -setzen. Er hält es in Sachen Giftgas mit den U-Booten: immer auf Tauchstation bleiben!