St.Urban wird's schon richten...

■ Unter der „urbanen Stadt“ liegt der „Emanzipationsraum“ - Der neue „Pflasterstrand“ schwelgt im alten Metropolen-Kult

Mathias Bröckers

Zuviel Pflaster, zuwenig Strand“, befand Robert Jungk, als er auf der letzten Buchmesse den Werbeprospekt für den neuen 'Pflasterstrand‘ gesichtet hatte: „Es fehlt der Biß“. Die Bisse in alle Richtungen hatten dem 1976 im Bockenheimer WG -Milieu gegründeten 'Pflasterstrand‘ einst trotz kleiner Auflage zu großem bundesweiten Ruhm als undogmatischem „Sponti-Blatt“ verholfen, eine Welle auf der er (ähnlich wie die taz) noch segelte, als das spontane Chaos der Anfänge längst schlampiger Routine gewichen war. Daß man von empfindsamer Nabelschau und pathetischer Revolutions-Prosa kaum leben, kein Auto, keinen Urlaub, kaum Miete zahlen kann, hatten die Pflasterstrand-Kollektivisten schon länger gemerkt - in der alternativen Gründerzeit Anfang der 80er sollte denn auch aus dem chaotischen Szene-Blatt endlich eine „richtige“ Zeitung werden: mit redigierten Artikeln, scharfen Fotos, mäßig (aber wenigstens regelmäßig) bezahlten Redaktionsstellen und entsprechender Auflage. Daß man sich fortan statt an lokaler „Graswurzel-Revolution“ eher am überregionalen 'Spiegel‘ orientieren wollte, signalisierte neben dem Vierfarb-Cover auch eine Umbenennung: Die ehemalige „Stadtzeitung für Frankfurt“ firmierte jetzt als „Metropolen-Magazin“.

Allein, das kosmopolitische Omen wollte seinen Zauber nicht tun, die Auflage stagnierte bei etwa 10.000, einmal nur, im „Faßbinder-Skandal“ 1985, wehte der Wind des 'Pflasterstrands‘ über Flughafen und Waldstadion hinaus, ansonsten ventilierte er die lokalen Lüftchen der Linken und stieß damit weder bei den Bankern und Buchhaltern der Handelsstadt noch bei den Metropolen-Kids auf gesteigertes Interesse.

„Nie konnte der 'Pflasterstrand‘ sein ökonomisches Dilemma lösen, trotz aller denkerischer Eleganz vermochte er das Stigma des Alternativen nie abzuschütteln“ - politisch hatte sich diese Eleganz, von der Herausgeber Dany Cohn-Bendit und der neue Chefredakteur Matthias Horx in ihrem Rückblick schreiben, in den letzten Jahren zunehmend auf das schmale Brett grüner Realo-PR reduziert, was den Leserstamm auf einen harten Kern von Joschka-Fischer-Fans herunterbrachte. Da half auch eine zweite „Generalüberholung“ im Januar 1988 nicht mehr, die mit neuem Outfit und reichlich Rubriken die alte „Streitkultur“ zu reanimieren suchte - mit dem Stigma rot-grüner Mainstream-Langeweile segelte der 'Pflasterstrand‘ in Richtung Pleite.

Land in Sicht geriet erst, als der Druckunternehmer Matthias Kierzek (Fuldaer Verlagsanstalt, Eichborn) 1989 eine Millionen-Spritze in Aussicht stellte, unter der Voraussetzung eines Kurswechsels: eines neuen Konzepts, das aus dem dahinsiechenden Patienten ein marktgängiges Produkt macht. Alt-Kollektivist Matthias Horx wurde angeheuert, seine Erfahrungen bei 'Tempo‘ und 'Zeit‘ in eine ökonomisch aussichtsreiche Stadtzeitung zu stecken, seit Beginn des Jahres liegt das Ergebnis vor, 160 Seiten auf gutem Papier, durchgehend farbig, mit gepflegtem Layout: „Das Frankfurter Journal“. Geblieben ist vom alten „Metropolen-Magazin“ außer dem Namen 'Pflasterstrand‘ und einem Großteil der Belegschaft und Autoren scheinbar nichts, was nicht wundert, handelt es sich doch, so Horx im Editorial der ersten Nummer, „um einen neuen Zeitschriftentyp. Wir nennen ihn das 'Städtische Journal‘.“

Was ein solches Journal von einer normalen Stadtzeitung unterscheidet, sind „gewisse Prinzipien“: Das „Prinzip Klassik“ - „Statt halbseidener Lifestyle-Geschichten drucken wir lieber klassischen Journalismus“, das „Prinzip Großstadt„- „Der Provinzialismus herkömmlicher Stadtzeitungen wird dieser Stadt nicht gerecht“ - und das „Prinzip seriöser Service“. Mit einem „Veranstaltungsfeuilleton“ will man hier „gänzlich neue Wege“ gehen: Statt eines kompletten Veranstaltungskalenders werden ausgewählte Termine mit einer Kurzbesprechung vorgestellt.

Die monatliche Erscheinungsweise mag dem Programmteil kaum eine andere Chance lassen als den kulturellen Veranstaltungswust häppchenweise zu servieren, in der Praxis allerdings scheint dieser „seriöse Service“ zumindest gewöhnungsbedürftig, wenn nicht unbrauchbar. So sehr es zieren mag, als Stadtzeitung gerade nicht wegen des Gebrauchswerts des Veranstaltungskalenders gekauft zu werden, so überraschend wäre es, wenn der neue 'Pflasterstrand‘ mit dem als Delikatessenladen getarnten Programm-Durcheinander über die Runden käme.

Denn gar so gewichtig, um diese Lücken zu schließen, scheinen die beiden anderen „Prinzipien“ in den ersten beiden Ausgaben noch nicht zum Tragen gekommen zu sein: so behandelt der „klassische“ Essay von Micha Sontheimer über die Konkurrenz deutscher Großststädte ein Thema, von dem er selbst sagt, daß es „Small talk“ ist. Also noch eine Stufe unter „Lifestyle“, der Rubrik, unter die auch der „Essay“ fällt, in dem Matthias Horx „Abschied vom Yuppie“ nimmt mit der halbseidenen These, daß es sich bei diesem Typus eigentlich nur um ein Phantom und bloße „Projektionsleinwand für soziale Ängste“, andererseits aber um die eigentliche Avantgarde handelt, wird doch der „gesellschaftliche Fortschritt (sollte es ihn tatsächlich geben) am ehesten von denen vorangetrieben, die wir heute gerne als 'Yuppies‘ bezeichnen“. Etwa von Leuten, wie sie der Report über die „neuen Städter“ porträtiert, besserverdienende Großstadtbewohner um die 40, für die der Moloch Metropole „längst Teil der Identität geworden“ ist: „Schneller leben, schneller essen, schneller ficken - und alles ist um die Ecke“.

Was außer dem ewigen „Schneller, Höher, Weiter“ das „Prinzip Großstadt“ ausmacht, darüber erfährt man im „Städtischen Journal“ wenig neues - daß es im Beton-Kiez auch gemütlich sein kann, wußten wir ja schon länger. Zwar ist alle naselang von „Urbanität“, „urbaner Philosophie“, „modernen Citoyens“ und städtischem „Lebensraum“ für „Emanzipationsexperimente“ die Rede, an einer Stelle gar von der „urbanen Stadt“, wovon man sich an diesem pleonastisch aufgeladenen Ort freilich emanzipiert und wohin der Fortschrittszug geht, bleibt im dunkeln. Was durchschimmert hinter Metropolenkult und Frankfurtitis ist allenfalls die Haltung, fröhlich weiter zu wirtschaften und zu wursteln, St.Urban wird's schon richten... als Beschwörungsformel und Selbstbeweihräucherung, auf daß noch die verschrobenste Konsummacke als Ausbund an Modernität erscheint.

Diese Tendenz wird nicht nur aus der, vom neuen 'Pflasterstrand‘ als unzeitgemäß gebrandmarkten Ecke der „nörgelnden“ und „ressentimentgeladenen“ Alt-Linken ausgemacht, sondern auch im bürgerlichen Lager, so entdeckt Dr.Stauber von der „Flughafen AG“, einer der „Prominenten“, die die Redaktion um ihre Meinung zum neuen Konzept bat, die „Gesamttendenz von der Politisierung zur Kultivierung - eine Art intellektuelle Stammtischprosa, mehr zur allgemeinen Selbstvergewisserung des 'In-Seins‘ als zur politischen Aufregung durch journalistische Recherche“.

In der Tat erscheinen in diesen politisch aufgeregten Zeiten die Top-Themen des neuen 'Pflasterstrands‘ banal und blaß: Design-Särge und Werbeszene, Krieg der Metropolen und neue Städter - nette Artikelchen, die mit ihren freundlichen Fotos und dem sauberen Layout auch in 'Viva‘ oder 'Cosmopolitan‘, im 'Wiener‘ oder im 'Zeit-Magazin‘ stehen könnten. Diesem Wiedererkennungseffekt wird es sich verdanken, wenn auch die folgenden Hefte so gut verkauft werden wie die erste Nummer und der 'Pflasterstrand‘ vom idealistischen Zuschußbetrieb zu einer profitablen Firma wird.

Wenn sich aber die „konsequente Weiterentwicklung“ des „radikalen, unbequemen 'Pflasterstrands'“ (Horx) nicht allein darin erschöpfen soll, auf dem Medienmarkt eine reformerisch bequeme Stadtzeitung zu etablieren, müßte die artige Hohlform des neuen „Journals“ mit den Unarten des alten 'Pflasterstrand‘ gefüllt werden. Das scheint auch Herausgeber Cohn-Bendit zu ahnen, wenn er von seinem ehrenamtlichen Stadtratsposten seine „abgeschlafften Wählerinnen und Wähler“ fragt: „Wo bleibt das Volk?“ Es wird bei „Ur-Pils oder Veuve Cliqout“ bleiben und im Designer -Sarg enden, solange ihm nicht ein Hetzblatt mit „denkerischer Eleganz“ Feuer unter den Hintern der Eigentums -Maisonette macht.