Welthauptstadt Berlin

Kein Fußball mehr vor dem Reichstag - Staatsempfänge.

Kein Krempelmarkt auf dem Potsdamer Platz - japanische Banken.

Kein Fahradweg längs der Mauer - Stadtautobahn.

Keine Kriegsdienstverweigerer - allgemeine Wehrpflicht.

Keine Kneipen rund um die Uhr - gesamtdeutsche Sperrstunde.

Keine verkrachten Existenzen - Staatssekretäre.

Kein Humus für Kultur - Ministerialdirektoren.

Keine Trödel-Keller - Antiquitäten-Boutiquen.

Kein Glück im Kiez - Mietwucher.

Kein SO 36 - Bronx.

Keine Berlin-Zulage - Hauptstadt-Zumutungen.

Keine Multi-Kultur - Preußenmuff.

Keine schwäbischen Anarchos - europäische Häuslebauer.

Keine Experimente - Willy als Adenauer.

Kein Mauersyndrom - Groß-Deutschland.

„Was nicht einmal der Zweite Weltkrieg geschafft hat, die Mauer hat's gebracht: Die ekelhaftesten Leute haben die Stadt verlassen. Nur die Verrücktesten sind in Berlin geblieben...“ (Neuss 1982) Jetzt werden die Ekel zurückkommen, invasionsartig. Aber und wegen der Wichtigkeit der Sache möchte ich ein zweites Aber hinzufügen: es liegt nur an den Verrückten, ob sie den Ekeln deprimiert das Feld überlassen, oder sich beim Großversuch „Reichshauptstadt“ so einmischen, daß ihn hinterher niemand wiedererkennt. Auf den Potsdamer-Platz kommt keine Deutsche Bank, sondern das neue UNO-Hauptquartier, nebenan erhält die Allianz aus NATO und Warschauer Pakt ein Gebäude, die Weltbank, die Grüne Internationale und der World-Wild-Life-Fond... - an der Nahtstelle zwischen Ost und West kann sich in Zukunft niemand erlauben, in den völkischen Muff von 1000 Jahren zurückzufallen. Im 3. Jahrtausend geht es nicht mehr um nationale Gefühle, sondern um planetarisches Bewußtsein - oder es geht überhaupt nichts mehr. Was zusammengehört, muß zusammenwachsen: Statt zur endgültigen Reichshauptstadt muß Berlin zur provisorischen Welthauptstadt werden. Die vaterländischenn Ekel mit ihrem Schwarz Rot Gold denken zu kurz, Größenwahn, die kugelige Mutter Erde, ist das Vernunftgebot der Stunde.

Mathias Bröckers