Barmherzigkeit oder politische Unmoral

Auch die Kirchenfürsten Rumäniens und ihre treuen Brüder in der EKD und beim Weltkirchenrat üben sich als „Wendehälse“ / Ergebenheitsadressen an den „hochgeschätzten und geliebten“ Diktator wurden von der internationalen ökumenischen Gemeinschaft toleriert  ■  Von Andreas Zumach

Genf (taz) - „Der Patriarch erteilt dem Kampf für Freiheit, Menschenwürde und Religionsfreiheit Unterstützung und den kirchlichen Segen.“ So heißt es in einem am Dienstag im Genfer Ökumenischen Zentrum veröffentlichten Telegramm vom 29.Dezember 1989 an den dort residierenden Weltkirchenrat (ÖRK) und die „Konferenz Europäischer Kirchen“ (KEK). Der Absender: Patriarch Teoctist, Oberhaupt der Orthodoxen Kirche Rumäniens und höchster Kirchenführer seines Landes. In einem zweiten Schreiben bedankt sich Teoctist für die Unterstützung im Kampf der letzten Jahre gegen die Diktatur Ceausescus und weist darauf hin, daß in Rumänien immer noch „Kräfte des Bösen“ am Werke seien.

Wie in anderen Bereichen der rumänischen Gesellschaft wird jetzt auch von den dortigen Kirchenführern „Wendehals„ -Politik betrieben. Unterstützung erfahren sie nicht zuletzt aus dem Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die in der Vergangenheit zur Ceausescu-Diktatur vor allem geschwiegen hat. Den Kampf der rumänischen Kirchen gegen die Diktatur hat es bis zum 22.Dezember '89 genauso wenig gegeben wie die Unterstützung durch die weltweite ökumenische Gemeinschaft. Noch auf einer „festlichen interkonfessionellen Konferenz aus Anlaß des 45.Jahrestages der rumänischen Revolution“ unter der Präsidentschaft Teoctists im August '89 sonderten der orthodoxe Patriarch sowie die Bischöfe aller anderen rumänischen Kirchen, der Rabbi der jüdischen Gemeinschaften des Landes wie der Leiter der Muslime Bukarests ausführliche Jubel- und Ergebenheitsadressen an den „hochgeschätzten und geliebten Herrn Präsidenten Ceausescu“ ab. Sie priesen die „brillante Weisheit“ des Conductators, seinen „einmaligen“ Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Vollständig dokumentiert sind diese Ergebenheitsadressen in der Zeitung der rumänischen Orthodoxen Kirche „Telegraful Roman“. Doch die Vorlage eines Exemplars der Zeitung im Genfer Ökumenischen Zentrum im Spätherbst, verbunden mit der Bitte rumänischer Christen um Unterstützung, bewirkte nichts. Der Weltkirchenrat blieb bei seiner Haltung, sich nicht öffentlich kritisch zur Situation in Rumänien zu äußern. Auf der Moskauer Sitzung des ÖRK -Zentralausschusses, des höchsten Leitungsgremiums, hatte Generalsekretär Emilio Castro im Juli '89 diese Linie durchgesetzt, indem er durch eine Rücktrittsdrohung die Verabschiedung einer von den US-Kirchen vorgelegten kritischen Rumänien-Resolution verhinderte. Mitgetragen wurde diese Linie von der EKD, deren Außenamtchef Held einer der sechs ÖRK-Präsidenten und Vorsitzender des Zentralausschusses ist. Erst am 22.12.89, „als sich der Erfolg des Volksaufstandes abzeichnete“, wie die in Genf erscheinende 'Lutherische Weltinformation‘ schreibt, verurteilte der ÖRK in einer gemeinsamen Erklärung mit der KEK, dem Lutherischen Weltbund und dem Weltverband der Reformierten Kirchen „die gewaltsame Unterdrückung in Rumänien“.

Eine der im 'Telegraful Roman‘ abgedruckten Ergebenheitsadressen stammt vom Bischof der Reformierten Kirche in Oradea, Laszlo Papp. Papp hatte die Strafversetzung des kritischen Pfarrers Laszlo Tökes aus Temesvar angeordnet und ihn -als der nicht gehorchen wollte bei den staatlichen Behörden angezeigt. Der Protest gegen Tökes‘ Verhaftung löste Mitte Dezember die Unruhen aus, die zum Sturz Ceausescus führten. Eine andere Ergebenheitsadresse stammt von Albert Klein, Bischof der Siebenbürger Sachsen. Im Juni letzten Jahres hatte Klein durch seine Intervention dazu beigetragen, daß die Schriftstellerin Hertha Müller und ihr Kollege Richard Wagner, beide leben im Exil in der Bundesrepublik, zum Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Berlin von den DEKT-Veranstaltern wieder ausgeladen wurden. DEKT-Referentin Carola Wolf versuchte damals, den Vorgang zu vertuschen; dessen Aufdeckung durch die taz trug der Zeitung heftige öffentliche Vorwürfe der Kirchentagspräsidentin Eleonore von Rothenhan ein. Seine Hand mit im Spiel hatte damals auch der Bückeburger Landesbischof Joachim Heubach, offizieller Verbindungsmann der EKD zur „Siebenbürgischen Evangelischen Kirche“. Auch er drängte, so daß Müller und Wagner nicht erscheinen durften. Jetzt reagiert Heubach heftig auf einen Bericht des 'Evangelische Pressedienstes‘ (epd) vom 29.Dezember, der unter der Überschrift „Treue Vasallen des geliebten Diktators“ über die Ergebenheitsadressen Kleins und anderer rumänischer Kirchenführer an Cheausescu berichtet. Ausdrücklich in seiner Eigenschaft „als offizieller Verbindungsmann der EKD“ wirft er 'epd‘ „Irreführung“ vor und nennt Klein einen „über alle Zweifel erhabenen Bischof“. Ein klärendes Wort des Rates der EKD oder seines Vorsitzenden, Bischof Kruse, steht bislang aus. Der stellvertretende EKD-Bevollmächtigte in Bonn, Kalinna, nutzte die Situation zu einem Seitenhieb auf den von ihm ungeliebten Weltkirchenrat. Er nannte dessen bisherige Rumänien-Politik „beschämend“, äußerte sich jedoch nicht zur Rolle der eigenen Kirche.

Mit seiner wütenden Kritik an 'epd‘ fällt Heubach sogar hinter Klein zurück, der bereits zu Weihnachten in einem Schreiben an die Pfarrer seiner Kirche „Betroffenheit“ bekundete, „über unsere eigene Schuld, Unrecht bisher nicht genug beim Namen genannt zu haben“. Im Privatgespräch mit Mitgliedern der jetzt nach Genf zurückgekehrten Delegation des Ökumenischen Zentrums erklärte er allerdings, unter Ceausescu sei „mitnichten alles schlecht gewesen“.“ - „Das haben viele Leute nach '45 auch über Hitler gesagt“, kommentierte ein deutscher Mitarbeiter des Zentrums.