Die Räder standen still, weil man keine „Stasinisten“ will

■ Treptower Arbeiter streikten gegen Ministeriumsbeschluß / Ex-Mitarbeiter der staatlichen Minsterien sollen Ausgleichszahlungen für Lohneinbußen erhalten

Vergangenen Mittwoch standen in einem Treptower Werk alle Räder still. Die 120 Arbeiter des elektromechanischen Werkes Steremat in der Bouchestraße streikten zwei Stunden lang gegen einen kürzlich erlassenen Ministerratsbeschluß, der freigestellten Mitarbeitern aus Ministerien und dem Staatsapperat Überbrückungsgelder zusichert. Dieser Beschluß macht in vielen Betrieben Ärger, gestreikt wurde dagegen aber jetzt zum erstenmal. „Die Grauzone ist allerdings groß, im Moment macht jeder Betrieb, was er will“, war aus IG -Metall Ost Kreisen zu hören.

Hintergrund des ganzen Ärgers ist eine „Vereinbarung zur Regelung arbeitsrechtlicher Fragen für Mitarbeiter der Staatsorgane, die im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen eine andere Arbeit aufnehmen“. Verabschiedet wurde sie am 8. Dezember, außer Kraft gesetzt auf Grund des vielen Ärgers wohl in den nächsten Tagen. Sozial abgefedert werden sollten mit dieser Regelung die Einkommenseinbußen frisch entlassener Staatsmitarbeiter, dies allerdings nur für maximal ein Jahr und höchstens mit 300 Mark im Monat. Nach bisherigen Erkenntnissen müssen in den nächsten Wochen ca. 7.000 von insgesamt 20.00O Berliner Ministeriumsangestellten die Schreibtische mit den Drehbänken vertauschen. Der Ministeriumsbeschluß orientierte sich bei dieser Regelung eng an das Arbeitsgesetzbuch, daß einen ähnlichen „Rationalsierungsschutzparagraphen“ schon lange hat. Neu war allerdings die Geldsumme, und die wird von den Arbeitern als „Übergangsprivileg“ bezeichnet. Unklar ist in den meisten Betrieben auch, für wen die Regelung eigentlich gilt. Und außerdem wurde versäumt zu informieren, daß diese „Privilegien“ eindeutig nicht für Stasimitarbeiter gelten. Kein Wunder also, daß Unruhe sich breit machte, die Arbeiter in Treptow Angst vor „Stasinisten“ und wütend auf die relativ hohen „Ausgleichszahlungen“ waren.

Angefangen hatte der Streik dann morgens um neun Uhr. Die Dreher der Großmechanik erfuhren aus einem Flugblatt vom Inhalt des Beschlußes, diskutierten kurz darüber und stellten ihre Maschinen ab. Sie forderten eine erklärende Stellungnahme der Gewerkschaftsleitung. Der Betriebsgruppenleiter Nils Rehan aus dem Hauptwerk wurde herbeigefahren und beruhigte die Streikenden mit der Information, daß die Steremat-Leitung schon vergangene Woche beim Zentralvorstand der „Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft“ protestiert hat, daß Steremat nicht bereit ist, irgendwelche Privilegien einzuräumen. Auch Betriebsdirektor Erwin Moye glättete die Wogen: „Wir haben bereits neue Mitarbeiter eingestellt“, erklärte er gegenüber der 'Berliner Zeitung‘, „zu den üblichen Tarifen. Und das soll so bleiben. Ich verstehe den Protest der Arbeiter.“ Die Beschwichtigungspolitik hatte Erfolg, mittags wurde in Treptow wieder gearbeitet.

Ein leitender Mitarbeiter des Ministeriums für Maschinenbau, in dessen Arbeitsbereich Steremat fällt, hat ebenfalls Verständnis für den Unmut der Arbeiter. Die maximal 300 Mark Ausgleichszahlung pro Monat sind mindestens 25 Prozent eines normalen Facharbeiterlohns, „eventuell zu hoch“ wie er einräumt. Andererseits aber, so betont er, dessen Kollegen von dieser Regelung schon betroffen sind, kompensieren diese Ausgleichszahlungen bei weitem nicht den tatsächlichen Einkommensverlust. „Die Arbeiter denken zu Unrecht, daß wir alle faul waren und dafür dicke Gehälter eingestrichen haben. Gerade in den letzten Wochen haben wir in den Ministerien 14 Stunden und mehr pro Tag gearbeitet und die Dienstaufwandsentschädigungen waren so hoch nun auch wieder nicht. Kein Verständnis dagegen hat er für ehemalige Stasimitarbeiter. Da sie militärische Dienstgrade und keine gewerkschaftliche Interessensvertretung haben, sollten sie so behandelt werden, wie jeder andere auch. Das dies aber im betrieblichen Alltag schwer werden wird sieht er voraus. „Es ist eben alles im Umbruch.“

ak