Tachokratie

Die transrapide Aufrüstung der Verkehrspolitik  ■ K O M M E N T A R E

Sie nennen es noch demokratische Verkehrspolitik, in Wahrheit jedoch ist es reine Tachokratie, die absolute Herrschaft der Geschwindigkeit. Die am Mittwoch verkündeten „wichtigen verkehrspolitischen Beschlüsse“ der Bundesregierung läuten eine neue Etappe der Tempo-Diktatur ein: Mit 250 km/h von Frankfurt nach Köln, mit 400 weiter nach Essen. Letzteres auf einer milliardenteuren Reklamestrecke des Magnetzugs „Transrapid“, der eine neue Qualität des industriellen Geschwindigkeitswahns darstellt: Während sich die Hochgeschwindigkeitstrasse für den ICE „nur“ auf das Wettrüsten mit den gnadenlos gasgebenden Automobilkonzernen einläßt, tritt der „Transrapid“ (neueste Höchstgeschwindigkeit: 435 km/h) gegen die Luftfahrtindustrie an. Da kann der als PR-Agent des „Systemführers“ Thyssen agierende Forschungsminister Riesenhuber die Flüstereigenschaften seines Milliarden -Magnets noch so sehr beteuern - was sich fast so schnell bewegt wie ein Flugzeug, das macht auch vergleichbaren Lärm, zumal es tiefer fliegt als jeder Tiefflieger - am Boden und direkt vor der Haustür. Das mag in der menschenleeren Wüste hinter Las Vegas, wohin Thyssen gern verkaufen möchte, der Ödnis der Umwelt angemessen sein, in der dichtbesiedelten Bundesrepublik ist es dies in gar keinem Falle.

In diesem Zusammenhang erscheint die Zusicherung der Bundesregierung, für jeden Abschnitt der beschlossenen Neubaustrecken eine „Umweltverträglichkeitsprüfung“ (UVP) durchzuführen, von besonderer Dreistigkeit: Nach der Empfehlung des Rats der Umweltsachverständigen soll der am 16. November als Gesetz beschlossene „Umwelt-TÜV“ Großprojekte schon in der Planungsphase auf ihre Umweltverträglichkeit prüfen, um „bessere Lösungen bis hin zur völligen Aufgabe des Vorhabens“ offenzuhalten. Die Vorhaben aber sind beschlossene Sache, die Streckenführung ist nach vielfältigen Händeln mit diversen Provinzfürsten festgelegt, was ansteht ist der Baubeginn - der UVP als Propaganda-Farce obliegt es, längs der Strecke ein paar Ingredienzien aus dem Hause Töpfer zu verteilen: Begleitgrün und Schallschutz-Kosmetik.

Auch ökonomisch ist die Milliarden-Subvention für die Hochgeschwindigkeit mehr als fragwürdig: Weniger als 15 Prozent ihrer Erträge erwirtschaftet die Bahn im Fernverkehr. Jede Minute Fahrzeitverkürzung kostet zwischen 80 und 200 Millionen Mark, Geld, das für den gewinnbringenden Ausbau des Schienen-Nahverkehrs an allen Ecken und Enden fehlt. So wundert es nicht, daß die Autoindustrie den Ausbau der Bahn zum Luxusverkehrsmittel für Fernreisende völlig gelassen zur Kenntnis nimmt. Um Anschluß an die Metropolen-Bahnhöfe des europäischen High -Speed-Netzes zu bekommen, braucht auch in Zukunft jedermann sein Auto.

Mathias Bröckers