Neues Lome-Abkommen kein Beitrag zur Entwicklung

■ Innergemeinschaftlicher Kompromiß geht zu Lasten der AKP-Länder / Die AKP-Staaten sind über den Zuwachs der Finanzmittel enttäuscht / Europäische Gemeinschaft hält sich Auflagen bei der Mittelvergabe offen / Ungleicher Tausch bleibt bestehen / Verbitterung über die unbürokratischen Osteuropa-Hilfeleistungen

Die EG und die Gruppe der assoziierten Staaten in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP) haben sich auf ein neues Abkommen geeinigt. Die in der Hauptstadt von Togo unterzeichnete neue Konvention gilt für zehn Jahre. Rainer Falk vom 'Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung‘ nimmt eine erste Einschätzung vor.

Es ist, als zeigte die EG den fernen Ex-Kolonien in der Dritten Welt die kalte Schulter, kommentierte die 'Financial Times‘, während sie die neuen „Kolonien“ im benachbarten Osteuropa warmherzig umarmt. Das Hilfspaket von 10,8 Milliarden Ecu ist ein ungleicher Kompromiß in einem innergemeinschaftlichen Konflikt: Für die nördlichen EG -Mitglieder, vor allem die BRD und Großbritannien, stellten zehn Milliarden Ecu im nächsten Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) eine Schallgrenze dar; die Südeuropäer (unter Einschluß Frankreichs) hatten für 12,8 Milliarden Ecu plädiert und dafür noch weniger Zugeständnisse im Bereich der Handelsliberalisierung zugunsten der AKP-Staaten machen wollen. Die AKP-Staaten dagegen hatten eine Verdoppelung des EDF in den nächsten fünf Jahren auf rund 15 Milliarden Ecu gefordert.

Die jetzige finanzielle Ausstattung des EDF unter Lome IV, zu der noch wie im vorigen Abkommen 1,1 Milliarden Ecu an Mitteln der Europäischen Investitionsbank (EIB) hinzukommen, ist damit nominell um 40 Prozent höher als unter Lome III. Real handelt es sich nach EG-Angaben freilich bestenfalls um eine 20prozentige Aufstockung. Die AKP-Länder argumentieren sogar, daß eine Steigerung um 50 Prozent notwendig gewesen wäre, allein um die Inflationsentwicklung der letzten fünf Jahre und das Bevölkerungswachstum in ihren Ländern wettzumachen.

Die demnächst 69 Mitglieder der AKP-Gruppe - neu hinzu kommen jetzt Haiti und die Dominikanische Republik sowie Namibia - sind angesichts dieser Mittelzumessung verbittert. Sie müssen registrieren, wie die EG zur selben Zeit den gleichen Betrag von rund zehn Milliarden Ecu allein als Grundkapitalausstattung für die ins Gespräch gebrachte Europäische Entwicklungsbank zur Finanzierung von Investitionen in Osteuropa umstandslos in Erwägung zieht. Der senegalesische Botschafter bei der EG hat jüngst vorgerechnet, daß die Wirtschaftshilfe der Gemeinschaft für Polen und Ungarn rund 60 Dollar pro Kopf der dortigen Bevölkerung beträgt, während die AKP-Staaten gerade mal sieben Dollar pro Einwohner erhalten.

Ohnehin ist die Präferierung der AKP-Staaten in den Wirtschaftsbeziehungen mit der EG in den letzten Jahren kontinierlich durch den Aufbau von allerlei Sonderbeziehungen Brüssels zu anderen Ländergruppen der Dritten Welt ausgehöhlt worden. Die Verbitterung unter den AKP-Regierungen ist jetzt um so größer, als sie im Zuge der Neuverhandlungen nur geringfügige Verbesserungen durchsetzen konnten. Die wichtigsten Neuerungen unter Lome IV: Strukturanpassung: Das Finanzpaket enthält erstmals eine spezielle Finanzierungsfazilität zur Unterstützung von Strukturanpassungsprogrammen in Höhe von 1,1 Milliarden Ecu. EG-Länder wie Großbritannien hatten ursprünglich darauf gedrängt, die gesamte Lome-Hilfe explizit von der Erfüllung einer strukturpolitischen Konditionalität abhängig zu machen. Eine derartige weitreichende Verknüpfung ist jetzt offiziell zwar nicht gegeben. Doch hat sich die Gemeinschaft eine Hintertür offengehalten: Über das Veto-Recht der EG -Mitglieder im EDF-Komitee ist ein Mechanismus gegeben, über den die gesamte EG-Hilfe faktisch der Konditionalität unterworfen werden könnte.

STABEX: Nur geringfügig verbessert wird das System zur

Stabilisierung der Exporterlöse (STABEX), das schon in der Vergangenheit nicht ausreichend war, um den Erlösrückgang der AKP-Staaten aus dem Rohstoffpreisverfall zu kompensieren. Es soll jetzt auf 1,5 Milliarden Ecu aufgestockt und dabei auch auf AKP-Exporte in Nicht-EG -Länder ausgedehnt werden.

Handelspolitik: Hier hält sich die EG zugute, daß sie den

AKP-Ländern in den nächsten Jahren den Import zusätzlicher Mangen agrarischer Produkte in bestimmten Jahreszeiten gestatten wird, vor allem bei Erdbeeren, Knollenfrüchten, Käse und Cherry-Tomaten. Auch die Ursprungsklausel für verarbeitete Produkte industrieller Art wird gelockert: Industrielle Importwaren aus den AKP-Ländern müssen jetzt nur noch einen Wertanteil von 45 Prozent aus den AKP-Staaten (gegenüber bisher 60 Prozent) nachweisen.

Ein Problem besonderer Art stellt die Regelung der Abnahmequoten bei Rum und Bananen im Zuge des kommenden EG -Binnenmarktes dar. Hier plant Brüssel die Abschaffung der Rum-Quote bis 1995. In Bezug auf Bananen enthält das neue Abkommen die allgemeine Zusicherung, daß die karibischen Bananenproduzenten auch nach dem Wegfall der Länderquoten 1992 keine Verluste erleiden werden, ohne jedoch konkret festzulegen, wie dies bewerkstelligt werden soll.

Die größten Zweifel sind darüber angebracht, ob die marginalen handelspolitischen Zugeständnisse auch nur ansatzweise geeignet sind, den seit längerem anhaltenden Trend zur Perpherisierung der AKP-Gruppe in der Weltwirtschaft aufzuhalten , wenn es nach 1992 eine deutliche Intensivierung des Wettbewerbs auf dem EG -Binnenmarkt geben wird. Schon seit Beginn der siebziger Jahre ist der Export industrieller Erzeugnisse der AKP -Staaten in die EG und die beiden anderen nördlichen Industriezentren USA und Japan um rund die Hälfte zurückgegangen. Diese Entwicklung wird weitergehen, wenn die EG - wie sich jetzt andeutet - im Zuge ihrer neuen „Offenheit“ nach Osten Ländern wie Polen und Ungarn handelspolitische Vorteile einräumt, die die der AKP-Gruppe weit übertreffen. Sie wird auch deshalb weitergehen, weil das neue AKP-Abkommen einen ernsthaften Willen vermissen läßt, über eine schwerpunktmäßige Förderung der industriellen Investitionspolitik in den AKP-Staaten Voraussetzungen für die Beseitigung der heute noch existierenden kolonialen Austauschstruktur (Fertigwaren gegen Rohstoffe) zu schaffen. Auch die kommende Periode weltwirtschaftlicher Umstrukturierungen sind die AKP-Staaten mit dem neuen Lome-Abkommen also schlecht vorbereitet - und Lome IV behält mit seinen Grundsätzen im Unterschied zu den vorigen Verträgen zehn Jahre lang Gültigkeit.

EG-Politiker sind vor diesem Hintergrund längst dazu übergegangen, ihre „Partner“ im Süden aufzufordern, sich auf sich selbst zu verlassen und sich dabei - ausgerechnet - die EG zum Vorbild zu nehmen. Der französische Entwicklungsminister Jacques Pelletier kleidete diesen neuen Euro-Zynismus unlängst in die folgenden Worte: „Die Veränderungen in Europa sind aus meiner Sicht ein Modell. Ohne eine regionalen Markt wird das subsaharische Afrika nicht genügend Kraft besitzen, um zu einer Zone wirtschaftlichen Wachstums zu werden. Ohne politische Koordination auf allen Ebenen - steuerlich, sozial und rechtlich - wird es angesichts der großen Gruppierungen, die überall auf der Welt entstehen, zu schwach bleiben. Für jedes afrikanische Land ist es notwendig, sein Konkurrenzpotential zu erhöhen und sich ohne Verzögerung darauf vorzubereiten, die europäischen Möglichkeiten zu ergreifen.“ Ganz falsch ist das nicht. Die Frage ist nur, wie dies angesichts der von den Europäern mitgesetzten Rahmenbedingungen funktionieren soll.

Gekürzter Abdruck aus „Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung“. Zu beziehen bei: ASK, Hamburger Allee 52, 6000 Frankfurt 90