Wackersdorfer Prozeßlawine ohne Ende

Mit Polizeivideos als Grundlage wird weiter intensiv gegen AtomgegnerInnen ermittelt / Jetzt soll eine neue Amnestiekampagne auf das bayerische Landrecht aufmerksam machen / Bisher keine einzige Strafe für prügelnde Polizisten / Lethargie in der Bürgerinitiative  ■  Von Bernd Siegler

Schwandorf (taz) - Noch Monate nach dem endgültigen Aus für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf mahlen die Mühlen der Justiz gegen AtomgegnerInnen mit ungebrochener Intensität. Gerichtsverfahren stehen an, Haftbefehle werden ausgestellt, Urteile gefällt. Bislang vergeblich haben die Oberpfälzer Bürgerinitiativen eine Amnestie gefordert. Das soll sich jetzt ändern. Im neuen Jahr soll eine Kampagne gegen die Kriminalisierung gestartet werden.

Mit insgesamt 3.300 Ermittlungsverfahren haben die bayerischen Justizbehörden bislang eine beispiellose Kriminalisierungslawine losgetreten. Unter dem Strich waren es bisher etwa 500 rechtskräftige Freiheits- und Geldstrafen. Dabei soll es aber nicht bleiben. Noch immer werden die Polizeivideobänder von WAA-Demonstrationen im Landeskriminalamt ausgewertet. Abzüge von Standbildern landen dann bei sämtlichen Polizeidienststellen im Bundesgebiet und werden mit dem Bildmaterial der Einwohnermeldeämter abgeglichen.

Glauben die Beamten, fündig geworden zu sein, bekommen LKA -Experten und Humananthropologen Arbeit. Jahre nach dem angeblichen Delikt kommt es dann zu Hausdurchsuchungen und Anklagen. Immer weniger stützen sich dabei die Staatsanwälte auf Aussagen von Polizeizeugen. Videoauswertungen und LKA -Gutachten sind gefragt. „Damit soll der Unsicherheitsfaktor Mensch, der zu vielen Freisprüchen geführt hat, ausgeschlossen werden“, betont der Regensburger Rechtsanwalt und Verteidiger von WAA-GegnerInnen, Franz Schwinghammer.

Sowohl der Fall des in Berlin untergetauchten Uwe R. (taz vom 29.11.) als auch der nächste Woche vor dem Schwandorfer Amtsgericht anstehende Prozeß gegen Bernd W. beweisen, daß nach wie vor mit unerbittlicher Härte gegen WAA-Gegner vorgegangen wird. Gegen beide besteht Haftbefehl wegen schweren Landfriedensbruchs, der am 10.Oktober 1987 am WAA -Bauzaun begangen worden sein soll.

Für Rechtsanwalt Schwinghammer ist insbesondere der 10.Oktober, der vielen WAA-GegnerInnen wegen der Prügelorgie der Berliner Polizei-Elitetruppe EbLT in bleibender Erinnerung sein wird, ein Musterbeispiel für ungleiches Vorgehen der Justiz. Damals zogen bei einer nicht genehmigten Demonstration 30.000 zum Bauzaun. Der brutale Einsatz der Berliner Polizisten forderte 39 Verletzte und neun Schwerverletzte. Kein einziger der Beamten wurde jedoch strafrechtlich belangt, obwohl die Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens selbst für die zuständige Staatsanwaltschaft in Amberg unstrittig ist.

Im Falle der Studentin R. schreibt Staatsanwältin Mendel: „Sie erhielt von hinten einen Schlag mit dem Schlagstock in Ohrenhöhe auf den Hinterkopf. Ein nachfolgender Beamter schlug der am Boden liegenden Verletzten nochmals mit dem Schlagstock auf den Rücken.“ Das ausgewertete Videomaterial beweist diesen Vorfall, der der WAA-Gegnerin eineinhalb Tage Intensivstation und zehn Tage stationäre Behandlung im Krankenhaus eingebracht hat. Staatsanwältin Mendel wertete das Verhalten der beiden Beamten als Körperverletzung im Amt, den Einsatz rechtfertigende Gründe fand sie nicht. Da in diesem Fall jedoch eine Identifizierung der Beamten anhand des Videofilmes „nicht möglich“ gewesen sein soll, wurde das Verfahren eingestellt. Die EbLT-Beamten verweigerten zum überwiegenden Teil die Aussage. „Corpsgeist unter Mittätern“, nennt Schwinghammer dieses Verhalten. Seinen Antrag, weitere Ermittlungen aufzunehmen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Für Erna Wellnhofer, Vorstandsmitglied der Schwandorfer BI gegen die WAA, bedeutet das schlichtweg eine „Straffreiheit für die Taten der Polizeibeamten“, von der WAA-GegnerInnen nur träumen können.

Eine Amnestie für WAA-GegnerInnen hatte das bayerische Innenministerium bereits kurz nach dem Baustopp der WAA abgelehnt. Minister Stoiber sprach von einer „Verdrehung des Gnadengedankens“. Eine Amnestie würde das „Selbstverständis aller Polizeibeamten bis ins Mark treffen“.

Doch auch innerhalb der WAA-GegnerInnen ist die Forderung umstritten. Irene-Maria Sturm, Vorsitzende des Dachverbands der Oberpfälzer BIs, hält die Forderung zwar für richtig, sie komme aber zu spät. Angesichts der „totalen Lethargie“, in der sich nicht nur die Schwandorfer Bürgerinitiative befindet, sieht sie keine Möglichkeit, die Forderung auch durchzusetzen. Der zum Volkshelden avancierte Schwandorfer SPD-Landrat Schuierer hält zwar eine Amnestie für „längst überfällig“, will aber diejenigen, die wegen „echter Gewalttaten verurteilt worden sind“, davon ausnehmen. Rechtsanwalt Schwinghammer fehlen „die politischen Voraussetzungen für eine Amnestie, sowohl als Gnade als auch als Recht“. Man dürfe nicht vergessen, daß die WAA lediglich aus einem „ökonomischen Sachzwang heraus in der Bundesrepublik gestoppt“ worde sei. Ein politischer Lernprozeß habe nie stattgefunden.