Urnenbestattung fürs Militär?

Die Schweizer Volksabstimmung und mögliche neue Feindbilder  ■ K O M M E N T A R E

Die ideologische Patina überdauerter Feindbilder, welche die Miliz-Armee der Schweiz ebenso wie die Streitkräfte ihrer Nachbarländer überzieht, hat im öffentlichen Bewußtsein offenbar Kratzer bekommen. Just in dem Land, das weltweit als Inkarnation grimmiger Wehrbereitschaft galt, hat ein Drittel des Wahlvolkes für die ersatzlose Streichung der Armee votiert. Stell‘ dir vor, sie geben einen Krieg, und ein Drittel geht nicht hin - rein rechnerisch reicht das schon für Hirnsausen in den Kommißköpfen. Der nationale Wehrwille, so versucht der eidgenössische Armeeminister nun die Kratzer zu polieren, sei im Volk der Eidgenossen immer noch tiefer verankert als in allen anderen europäischen Ländern. Schöne Aussichten - wenn das stimmt. Dann dürften wir, käme es etwa in Italien, Luxemburg oder Ungarn zu ähnlichen Plebisziten - nach satten 36Prozent in der Schweiz - dort gut und gerne mit 40, 45, ja womöglich über 50 Prozent rechnen.

Das Votum in der Schweiz hat denkbar gemacht, was angesichts des Umbruchs in Europa nur logisch ist: Die Frühpensionierung der Militärs per Mehrheitsvotum. Urnen als Soldatengräber - ist eine humanere Lösung denkbar? Hierzulande strebt eine „Initiative Bundesrepublik ohne Armee“ (BoA) ein Volksbegehren über die Bundeswehr an. Das Beispiel Schweiz hat gezeigt, welche tabubrechende Kraft allein solch ein Ansinnen haben kann. Das Beispiel Schweiz weckt Lust auf Utopien, wirft aber auch beklemmende Fragen auf.

In den gleichen Westschweizer Kantonen, in denen die meisten Prozente gegen die Armee gezählt wurden, fand auch die Forderung nach Heraufsetzung der Tempolimits auf Landstraßen und Autobahnen üppige Mehrheiten. Zufall? Oder sehen die Konsumbürger die Freiheit, die sie meinen, von der Roten Armee mittlerweile einfach weniger bedroht als von Radarkanonen auf dem Highway. Noch beunruhigender: An diesem Sonntag wurde in Fribourg ein kurdischer Asylbewerber von Jugendlichen totgeschlagen.

Brandanschläge und Übergriffe mit rassistischem Hintergrund nehmen zu. Eine ähnlich hohe Wahlbeteiligung wie jetzt die Armeeabschaffungsinitiative konnte in den letzten 20 Jahren in der Schweiz nur die ausländerfeindliche Überfremdungsinitiative der „Nationalen Aktion für Volk und Heimat“ verbuchen. Bedrohungsängste werden neu kanalisiert. Aus den Versatzstücken bröckelnder Feindbilder - der Volksarmist im Stechschritt hat immerhin dieselbe Hautfarbe

-ist schnell Ersatz gebastelt.

Thomas Scheuer