Die letzten frißt die Kälte auf

■ Obdachlose Drogenabhängige suchen verzweifelt Nachtquartiere / AK Drogen ausgebucht

Es ist die Nacht von Montag auf Dienstag. Gegen 23.30 Uhr sind schon 16 bis 20 Frauen und Männer in dem 30 Quadratmeter großen Zimmer des Vereins „Kommunale Drogenpolitik für akzeptierende Drogenarbeit“ (AK) in der Weberstraße eingetroffen. Auf Matratzen, Notliegen, auf dem Fußboden oder im Sessel haben sie sich - so gut es eben geht - verteilt und wollen hier im Warmen die Nacht verbringen. Alle verbindet ein gravierendes Problem: die Obdachlosigkeit.

Drogenladen als

Not-Quartier

„Seitdem es nachts so kalt geworden ist, können wir die Leute nicht mehr wegschicken“, berichten Helmut Oppermann und Birgit Stiem vom AK. „Die Drogenabhängigen würden sonst erfrieren oder sich Krankheiten holen, die sie nicht mehr überleben würden.“ Ursprünglich galt das Nachtprogramm des AK nur für drogenabhängige Frauen, die eine Anlaufstelle für eine Tasse Kaffee oder auch eine Möglichkeit zum Gespräch haben sollten. Ein Notbett hat hier im Ausnahmefall eine unbürokratische Übernachtungsmöglichkeit geboten. Vor vier Wochen gab es als

Pendant zu den beiden wöchentlichen Frauennächten die erste Männernacht, die mittlerweile zu einer gemischt -geschlechtlichen Nacht geworden ist. „Mit Einwilligung der Frauen“, betont Birgit die Solidarität, die die Drogenabhängigen füreinander aufbringen.

„Wir können diese Nächte zur Zeit nur deshalb anbieten, weil viele von denen, die hier herkommen, auch die anfallenden Arbeiten erledigen“. Doch mittlerweile ist der Andrang in der Weberstraße nachts so groß, daß die Bedürfnisse der Drogenabhängigen weder räumlich noch personell vom AK bewältigt werden können. „Wir werden unser Tagesprogramm wohl nicht mehr aufrecht erhalten können, damit wir nachts wenigstens öffnen können.“ Der AK braucht dringend feste Stellen, um die Betreuung zu sichern, denn mit drei ABMs, einer §-19-Stelle und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen kommt der AK seinen Aufgaben tatsächlich nicht mehr nach: Allein die Nächte fressen jetzt das Arbeitskraftpotential völlig auf. „Das hat für uns aber absoluten Vorrang, denn die Drogenabhängigen haben angesichts der Wohnungsnot überhaupt keine Chance mehr.“

Im letzten Jahr konnten die Fixer Innen noch ins Jacobushaus ausweichen, in diesem Jahr ist alles überbelegt.

Entzug ohne Wohnung

geht nicht

„Ich bin vor acht Wochen aus dem Knast gekommen“, erzählt einer. „Eine Wohnung hab‘ ich nicht, werd‘ ich wohl auch nicht kriegen. Dabei will ich Entzug machen, aber mach mal Entzug, wenn du auf der Straße stehst, das kann keiner von mir verlangen.“ So wie ihm geht es den meisten: „Wir haben hier im Viertel ungefähr 50 der amtlichen Obdachlosen von Bremen“, schätzt Helmut und berichtet über den Frust seiner Klientel: Weder das Drogenschiff sei gekommen noch seien die Wohnungsversprechen vom Anfang des Jahres eingelöst worden. „Der Verteilungskampf beim Wohnungsraum wird immer schlimmer, und die Drogenabhängigen sind diejenigen, die immer verlieren.“

In einer Blitzaktion hat der AK von der Sozialbehörde 1.000 Mark für Schlafsäcke losgeeist. Das reicht bei weitem nicht aus. „Wenn es der Sozialsenator ernst meint mit seinem Beschlagnahmungsprogramm, müssen auch die Drogenabhängigen berücksichtigt werden.“ Es gibt schon eine ganze Liste leerstehender, privater Häuser, die der AK als

Ouartiere für Drogenabhängige ins Auge gefaßt hat, und auch öffentliche Gebäude hat der AK schon ausgespäht: „Man könnte das Fundamt verlegen, dann wäre uns schon sehr geholfen.“ Jetzt muß die Behörde schnell handeln. „Ich will dir was sagen: wenn hier nichts passiert, kommen wir locker schnell über 60 (Drogentote)in diesem Jahr“, prophezeit Fred, der seit drei Wochen obdachlos ist und seit 20 Jahren drückt.

Langjährige Projekte

brechen zusammen

Unter solchen Bedingungen ist die eigentliche Sozialarbeit kaum noch möglich. Sabine Michaelis, die das ursprünglich als Frauenprojekt konzipierte Angebot in der Weberstraße betreut hatte, sieht die aufkommenden Schwierigkeiten. „Auch in den beiden Frauennächten stehen jetzt immer mehr Männer vor der Tür, die reinwollen. Für viele Frauen entfällt dadurch die Möglichkeit, einmal eine Nacht ohne Abhängigkeiten von Freiern oder Freunden zu verbringen.“ Was sich in langjähriger Arbeit entwickelt hat, droht nun unter dem Ansturm der Not hoffnungslos zusammenzubrechen. „Wir sind im Gespräch mit der Sozialbehörde. Unsere eigentliche Arbeit ist in diesen Räumen nicht mehr möglich.“ Markus Daschne