„Niemand will hier eine Struktur von oben“

■ Repräsentanten von 28 Hochschulen der Republik berieten am Samstag über die erste landesweite Studentendemo und die Organisationsfrage / Konfusion um Namensgebung: „Studentische Arbeitsgemeinschaft“ oder „Autonome Studentenunion“ / Kommilitonen aus der Provinz beklagen Dominanz der Hauptstadt

Ost-Berlin (taz) - Ein Hauch von 68 durchweht an diesem Samstag mittag den überfüllten kleinen Raum im „Club der Wissenschaften“, gleich gegenüber des Pergamonmuseums. Von Greifswald bis Dresden, von den Musikern bis zu den Ökonomen sind durch etwa 70 Personen 28 Hochschulen der Republik vertreten - viele schon mit gewählten Studentenräten, andere haben erst einmal provisorisch ernannte Delegierte entsandt. Beim letzten Treff vor zwei Wochen waren es 140 Leute von 37 Hochschulen; heute hat die offene Mauer offenbar einige von ihnen auf den Kudamm gelockt.

Wer von auswärts angereist ist, gerät erst einmal in heillose Konfusion: Beim letzten Mal hatte man sich doch unter dem Namen „Studentische Arbeitsgemeinschaft“ getroffen - und heute gibt es auf einmal Flugblätter einer „Autonomen Studentenunion“ (ASU), die ihr Gründungstreff just auf Ort und Zeitpunkt dieses AG-Treffs gelegt hat. Vier Fünftel der Anwesenden hier sind Männer, aber noch ehe die Hahnenkämpfe pro und kontra ASU beginnen können, siegt die Vernunft in Gestalt einiger Frauen: „Über die erste landesweite Studentendemo (das große I ist hier noch nicht in Gebrauch) am kommenden Freitag sind wir uns doch einig, und die Zeit drängt.“

Erster Tagesordnungspunkt also: Wie kriegen wir die Demo hin. Die Organisation haben bisher die Leute von der Hochschule für Schauspielkunst in Berlin-Schöneweide in der Hand gehabt, mit der Obrigkeit ist schon alles vorbereitet: mit dem Hochschulminister gesprochen, „Sicherheitspartnerschaft“ mit der Volkspolizei vereinbart, Demoroute genehmigt, die Rektoren um Unterstützung gebeten. Leipzig meldet schon den ersten Erfolg: „vorlesungsfrei ab Freitag 13 Uhr“.

Reden sollen gewählte Studis aus verschiedenen Städten, dazu der 1957 per Schauprozeß verurteilte Walter Janka, Michael Brie für die SED-Reformerbasis - und, wenn er will, der Hochschulminister („der kann durchaus was dazulernen!). Später in der Pause grübeln noch ein paar, ob man nicht „einen Alt-68er von drüben“ sprechen lassen sollte? Der könnte doch mal erzählen...

Es bleibt die ungelöste Frage der Übernachtung (originellster Vorschlag: „in West-Berlin“), der Fete am Abend und der Ordner. Die Berliner haben nicht genügend Leute zusammenbekommmen, die FDJ soll um freiwillige Helfer gebeten werden. Das aber macht die Dresdener sauer: „Es kann doch nicht wahr sein, daß wir dazu die FDJ brauchen!“ Doch es bleibt bei einem abweichenden Votum. Daß wendeeilige FDJler, die auch hier im Raum sitzen, sich vor allem an kleinen Hochschulen an die Spitze der Bewegung setzen könnten - darüber machen sich nur am Rande des Treffens einige KommilitonInnen Gedanken. „Ja“, sagt eine von ihnen, „uns wäre es auch lieber, westdeutsche Asten würde uns eine Druckmaschine besorgen. Aber so haben wir unseren Aufruf erst mal von der FDJ drucken lassen müssen.“

Die Demo steht, jetzt können beim zweiten Tagesordnungspunkt - Strukturdebatte - getrost die immergleichen Konflikte ausgetragen werden. Die Provinz möchte vor allem Informationsaustausch statt einer Zentrale. Der Kommilitone aus Merseburg beschwert sich, daß „die Politik wieder in Berlin gemacht wird“. Und die Hauptstädter streiten sich um die Organisationsfrage: Soll die Gründung der Studentenräte zentral „vorangetrieben“ werden, damit möglichst bald eine nationale Interessenvertretung da ist?

Christian Reich, Sohn des Neues-Forum-Exponenten Professor Jens Reich, spricht vehement für solchen, wie er es nennt, „Revolutionsexport“. Deshalb haben er und andere schnell mal die „Autonome Studentenunion“ per Flugblatt aus der Taufe gehoben. Oder ist es so, wie ein Mann von der Filmhochschule sagt: „Nur legitimierte Räte können sich doch zusammenschließen.“ Die Zeit drängt, Frauen vermitteln mal wieder und schlagen vor, die Animositäten zwischen den beiden Männergruppen nach der Sitzung zu lösen. Jetzt gilt erst mal: „Niemand will doch hier eine Struktur von oben.“ Nein, auch die ASU-Leute nicht. Sie haben für ihr Vorpreschen ziemlich eins auf den Deckel bekommen und vereinbaren jetzt brav mit den Koordinatoren der „Studentischen AG“, „unser Material auszutauschen“. Das neue Gebilde wird nun nicht ASU, was den meisten zu sehr nach einem Zwangs-AStA klingt, sondern schlicht „Zentrales Informationsbüro“ heißen. In zwei Wochen trifft man sich wieder, und alle bekommen sie am Schluß noch die Mahnung mit auf den Weg: „Hoffentlich sind dann alle durch Studentenräte legitimiert.“

Michael Rediske