Mehr als 250 Tote in Tschernobyl

■ 'Moskow News‘ nennt neue Zahlen zur Reaktorkatastrophe Neue Bürgerinitiative „Tschernobyl-Union“ gegründet

Moskau/Berlin (taz/ap) - Die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl hat vermutlich weit mehr Tote gefordert, als bisher nach offiziellen Angaben zugegeben wurde. Die sowjetische Wochenzeitung 'Moskow News‘ berichtet in ihrer neuestesten Ausgabe von mehr als 250 Menschen, die an den Folgen des Super-GAUs gestorben sind. „Tschernobyl präsentiert eine schreckliche Rechnung, und heute kann niemand mit Gewißheit sagen, wie die Endsumme aussehen wird“, heißt es in dem Bericht. Offiziell war bisher immer von 31 Toten die Rede.

Bei den Toten handele es sich um Arbeiter, die sich zum Zeitpunkt der Explosion auf dem Gelände befanden, und um Personen, die bei den Aufräumungsarbeiten eingesetzt worden waren. Die Menschen seien an den verschiedensten Krankheiten gestorben, so daß niemals die genaue Zahl der Todesopfer ermittelt werden könne, heißt es in dem Bericht. Alexander Karasjuk, der Sprecher des für die Aufräumarbeiten in Tschernobyl zuständigen Kombinats, bestätigte inzwischen die Zahl von 250 Toten. Er verwies jedoch auf die Schwierigkeit, bestimmte Todesfälle eindeutig den Folgen der Reaktorkatastrophe zuzuordnen. Viele Menschen seien Krankheiten erlegen, an denen sie schon länger gelitten hätten. Hier seien weitere wissenschaftliche Studien notwendig.

Im Kiewer Spezialkrankenhaus werden weiter regelmäßig Strahlenkranke untersucht und betreut. Bisher sind dort 600.000 Menschen behandelt worden.

Die sowjetische Wochenzeitung stellt in ihrem Bericht auch eine neue Organisation vor: die Tschernobyl-Union. Mitglied dieser Bürgerinitiative könne jeder, der die Sorgen um die Sicherheit und Strahlengefahren teile, heißt es in dem Bericht. Die öffentliche Kontrolle der Atomenergie bezeichnet die Tschernobyl-Union als ihre Hauptaufgabe. Schon jetzt überprüfe man auf eigene Faust die Strahlungssituation um den Atomreaktor in der Ukraine. Außerdem werde versucht eine Datenbank einzurichten, in der Material über all diejenigen gesammelt wird, die am eigenen Leib die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe erfahren hätten.

Die Organisation will sich allerdings nicht auf Tschernobyl beschränken. Auch die Interessen von Soldaten, Atomarbeitern und Anwohnern anderer nuklearer Projekte sollen vertreten werden. Ein Sprecher erklärte: „Wir sinnen auf neue Methoden im Kampf gegen das Strahlen-Analphabetentum. Wir haben schon Verhandlungen im Ausland geführt, um Diagnose-Apparate, Medikamente und Strahlen-Meßgeräte zu erwerben.“ Abschließend nennt 'Moskow News‘ die Postanschrift der Tschernobyl-Union: Sojuz Tschernobyl, 129010 Moskva, Postfach 17.

bk/man