ERDMÖBELSCHAU

■ Vom Einrichten im Leben und mit dem Tod: Friedhöfe in Charlottenburg - eine Ausstellung im Heimatmuseum

„Der Sommer kommt wieder, kommt wieder in jedem Jahr, der Sommer kommt wieder, doch es wird nie mehr, so wie es war.“ (Mireille Matthieu). Das heißt: der Herbst ist jetzt wirklich angekommen. Die Betriebssportgruppen spielen nicht mehr draußen, weil's zu früh dunkel wird; die Menschen ziehen sich jammernd ins Gehäuse ihrer Wohnungen zurück. Einige lehnen es noch kategorisch ab, einen kommenden Winter zu akzeptieren, und kaufen keine Kohlen. Zum eignen Schaden. Viele tragen Shawls, manche werden krank, die Frühlingsliebe wird ad acta gelegt. Immer häufiger wird von Selbstmord gesprochen, vielleicht auch mit dem Wissen, daß sich statistisch die meisten nicht im Herbst, sondern im Frühling umbringen.

Und sonntags schlendert man über den Kirchhof. Nicht selten ist er ganz „mit einem gelben und blauen Dunst überzogen, der drei Fuß hoch den ganzen Friedhof verfinstert - kann dies etwas anderes als Pestluft sein, und kann da nicht Pest auf geradem Weg entstehen?“ (sanitätspolizeiliches Gutachten von 1812).

„Gehe abends nicht über den Friedhof!“ Dieser Ratschlag des Volksmärchens hat, so Landeskonservator Helmut Engel in seiner Einleitung zur Ausstellung über Friedhöfe in Charlottenburg im dortigen Heimatmuseum, ganz reale Hintergründe: „daß Beisetzungen nicht ordentlich geschahen, das Grab nicht in der erforderlichen Tiefe ausgehoben wurde; daß durch Stürme die Sandhügel verweht wurden, daß man ohnehin im Winter die hölzernen Grabkreuze lieber in den Ofen steckte, um es zu Haus warm zu haben; daß so Beisetzungen nicht lokalisiert werden konnten und bei nachfolgenden Begräbnissen, die kaum oder nur halbverwesten Leichen dann eben an irgendsoeine Friedhofsmauer gestellt wurden, wo sie dann nachts zu phosphorisieren anfingen“.

Die Dinge mit dem Pesthauch auf den Friedhöfen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts, so beruhigte Professor Engel, „mit der Ordnung des Friedhofswesens geordnet. Es fing an mit der Grabhügelmarkierung mit Hilfe von Efeu...“ Prosaischer liest sich das unter Glas, in der Theorie der Gartenkunst aus dem 19. Jahrhundert: „Die Bepflanzung der Begräbnisörter diente nicht bloß zur Bezeichnung der Stellen, wo der Rest von einem Geliebten versenkt lag, sondern auch zu einer gewissen Reinigung der Luft, indem die Bäume und Pflanzen die bösen Ausdünstungen vermindern oder sie doch weniger schädlich machen. Sie locken zugleich zu einem längeren Verweilen an den Plätzen, wo so viele rührende Denkmäler zu interessanten Erinnerungen und Betrachtungen auffordern, wo der Tod selbst die Weisheit des Lebens lehrt.“

Die Typen der Begräbniskultur von denen die Ausstellung berichtet - das Mausoleum, das Wandgrab und das Feldgrab mit Kreuz, Grabfigur, Steinplatte oder zumindest einer steinernen Einfassung -, entwickelten sich Ende des 18., Anfang des 19.Jahrhunderts. Bis vor wenigen Jahren noch ließ man sie noch als „kulturgeschichtliche Folge der Mißachtung des 19. Jahrhunderts, wie sie bis in die sechziger Jahre gang und gäbe war“, verkommen, geißelte Engel. „In einem ganz bestimmten Originalitätsverständnis von Kunst und Kultur waren die Stile, die sich an voraufgegangene Epochen anlehnten,“ - so auch der Historismus - „höchst suspekt, und erst 1964 begann man die zweite Hälfte des 19ten Jahrhunderts anzuerkennen.“ Erste Restaurationen wurden bei den historischen Friedhöfen Kreuzbergs - am Halleschen Tor und in der Bergmannstraße - vorgenommen, und inzwischen sei man bei den Randbezirken angelangt. „Als Folge der fast ein halbes Jahrhundert andauernden Mißachtung jedoch ist ein Zerstörungsgrad erreicht worden, dem nur unter dem Oberbegriff einer Rettungsaktion begegnet werden kann - wenn wir es jetzt nicht packen, ist diese Kulturschicht für uns generell verloren“, warnte der Landeskonservator.

Um Restaurierungen geht es allerdings nur am Rande der Ausstellung. Auf Tafeln werden die sieben Charlottenburger Friedhöfe vorgestellt, bebildert, und in Vitrinen liegen wundervolle Bücher zur Friedhofskultur. Es geht um die architektonischen und kunsthistorischen Entwicklungen der Mausoleen, Wandgräber, Feldgräber, um Verbindungen und architektonische Entsprechungen zwischen Wohn- und Grabmälern, um das Leben bekannter Namen auf Charlottenburger Friedhöfen, um den Tod am Rande. Und das ist alles mehr als informativ nicht nur für passionierte Friedhofsspaziergänger. So findet man ein wunderbares Schwarzweißfoto vom siebenmaligen Abschreiten der Mauer zur Eröffnung des jüdischen Friedhofs, des „Hauses des Lebens“ am Scholzplatz 1955. Nur sparsam wird erläutert, Daten, Funktionen; daß die Bibel die Darstellung menschlicher Personen untersagt und daß sich deshalb auf jüdischen Gräbern nur symbolische Verzierungen finden und daß die Gräber ewig sind, es also keine Pachtverträge gibt, wie bei den Christen. Auf einer anderen Tafel erfährt man, daß 60 Prozent aller heutzutage anfallenden Leichen eingeäschert werden. Man sieht Fotos vom exterritorialen Südwestfriedhof Stahnsdorf, der sich jetzt in der Zone befindet und mittlerweile als wilder Park der wahrscheinlich schönste Charlottenburger Friedhof ist. Eingerichtet wurde er außerhalb, weil die Grundstückspreise damals schon zu hoch waren, um auf Charlottenburger Gebiet einen neuen Friedhof einzurichten. Eine Leichenbahn verband die Wohnungen mit den Gräbern. Und man liest, wie der Luisenfriedhof 1815 durch Oberpfarrer Dressel eingeweiht wurde: „So soll denn diese vor uns stehende Leiche die erste seyn, die wir hier versenken und bey dieser Gelegenheit diesen eingehegten vormahligen Acker zu einem Gottesacker, zu einem Beerdigungsplatz (...) einweihen wollen.“ Wie anders als mit einer Leiche sollte man auch sonst einen Friedhof einweihen? Eine andere Geschichte ist vielleicht noch schöner: „Anlaß der Einrichtung des Erbbegräbnisses Griesebach war der Tod des 11jährigen Sohnes Edward, der verunglückte, als er seiner Schwester Eveline mit einem Taschenmesser vorspielte, wie der Held einer Geschichte erstochen wurde.“ An die Stilvielfalt der vom Klassizismus und rationalistischer Aufklärung geprägten Grabmalkultur wird erinnert, der alle äußeren Zeichen des Christentums fehlten, an ihre Symbole, die sich sowohl auf jüdischen als auch auf christlichen Kirchhöfen finden: gebrochener Baum, geborstene Säule, Stele mit einer Urne drauf. Zur Jahrhundertwende gab es einen Boom aufwendiger Grabwände, „besonders beliebt waren aus teuren Materialien, Basalt und Marmor, gefertigte Wände mit einer Skulptur davor. (...) Begehrt waren im Stile antiker Grabmale gefertigte Darstellungen Abschied nehmender Paare.“ Ab 1910 setzten sich eher sachlich geometrische Formen durch, und in den zwanziger Jahren beschränkten die Richtlinien des „Reichsausschusses Friedhof und Denkmal“ Variationsmöglichkeiten im wesentlichen auf verschiedene Schriftarten. Die dreißiger Jahre setzten auf Massigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden, in erster Linie aus Kostengründen, nur noch äußerst selten Mausoleen oder Wandgräber gebaut.

Eher knapp sind die Erläuterungen zum Todesverständnis. Auf staatlichen Friedhöfen verknüpfen sich immer häufiger christliche Anschauungen mit denen andere Religionen; oft tauchen Yin-Yang-Zeichen auf den Grabsteinen auf oder ein Bodhisattva - das sind die buddhistisch Erleuchteten, die aufs Nirvana und Aufhören verzichten, um den anderen, weniger Erleuchteten weiterzuhelfen - ziert das Grab des Schauspielers Paul Wegener. Die jüdische Tradition kennt „über 909 Arten des Sterbens; von schrecklichen Krankheiten, die ein schmerzvolles Sterben verursachen, bis hin zu dem Kuß des Todes, der für die Gerechten so leicht ist, ‘als ob man ein Haar aus einer Schale Milch zieht.“ (Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe, Würzburg 1985).

Die Ausstellung ist wunderbar in ihrer sachlichen Bescheidenheit. Im Herbst lockt sie einen in die „melancholische Gattung von Gärten“. „Kein heller See, keine weiten fröhlichen Gefilde in der Aussicht, kein heiterer Rasen in dem innern Bezirk. Ein finster angrenzender Tannenwald, ein dumpfiges Gemurmel fallender Wasser in der Nähe vermehrt die heilige Melancholie des Orts.“ (Theorie der Gartenkunst).

Detlef Kuhlbrodt

Vom Einrichten im Leben und mit dem Tode - Friedhöfe in Charlottenburg, Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstraße 69. Konzeption: Birgit Jochens und Herbert May. Gestaltung: Klaus-Dietrich Schulze. Bis zum 17. Dezember. Friedhofsführungen siehe Tagesprogramm.