Reuterstraße 9-17 - Zehn Jahre in Volkes Hand

■ taz-Gespräch mit dem Rechtsanwalt Jürgen Maly, vor zehn Jahren Mitgründer und heute Mitbesitzer der Reuterstaße 9-17

taz:Erkläre doch mal, wie das anfing mit der Reuterstraße.

Jürgen Maly: Da hat sich eine Gruppe von Leuten bei der Naturfreundejugend getroffen, die haben gesagt, daß es sinnvoll wäre, insgesamt zusammenzuarbeiten. Wir haben Gebäude gesucht und zwischendurch die Arbeitsbereiche zum Teil schon aufgebaut und haben dann irgendwann dieses Gebäude in der Reuterstraße gefunden.

Ihr habt das dann gekauft?

Ja.

Woher hattet ihr das Geld?

Von der Bank geliehen. Wir hatten 25.000 Mark Eigenkapital und haben dann noch einmal 350.000 Mark dazu geliehen. Die Belastung war nicht höher, als wenn wir das gemietet hätten, und so konntest du mit dem Gebäude das machen, was du wolltest. Das sollte ein richtiges Handwerker-Kollektiv werden, oder ist es bis 85/86 ja auch gewesen.

Und was ist aus den Leuten geworden?

Die sind alle irgendwie nicht ins bürgerliche Joch zurckgefallen, das heißt Ehe, Familie, Coochie

Coochie zuhause und irgendwo in einem normalen kapitalistisch organisierten Betrieb zu arbeiten.

Und dann habt ihr ziemlich schnell Staatsschutz-Probleme mit dem Treffpunkt-Charakter der Reuterstraße gekriegt?

Kann man an und für sich nicht sagen. Es war so, daß aufgrund der Struktur der Kneipe und aufgrund der vielen Leute, die hier in Walle wohnten und der Tatsache, daß nichts vorhanden war, sich das unheimlich schnell als Zentrum herausbildete für alle möglichen Gruppen, und insofern war war

auch klar, daß dort politische Aktionen vorbereitet worden sind. Also, es war einfach ein total geiles Zusammenleben zwischen allen Leuten, die da gearbeitet haben und vielen Leuten die da als Besucher herkamen. Man hat so viel von den andern erlebt, das hatte schon was. Und was eben stark war, daß es hier ganz oft so eine Aufbruchstimmung gegeben hat. Das heißt: da sind welche, die zwingen was, die machen was und das findet man gut und da ist man dabei und lernt die kennen und baut irgendwie was auf.

Das haben damals viele Leute hier in Walle mitgekriegt haben und das hier als ihren Stadtteil begriffen, und leben hier jetzt ganz anders als in anderen Stadtteilen, wo man nur konsumiert. Das drückt sich dann in den vielen Theater -Gruppen oder der GaDeWe oder sowas aus, wo wirklich aus Scheiße Rosinen gemacht werden, wo, quasi ohne staatliche Unterstützung, Dinge geschaffen werden, die sonst nicht klappen.

Warum hat sich das ganze Projekt aufgelöst?

Es gab eben Auseinandersetzungen, Widersprüche zwischen einzelnen Leuten, die wir nicht mehr gemeinsam lösen konnten. Ich kann nur sagen, ich möchte aus der Zeit der Techno-Coop keine einzige Minute missen, wenn ich heute so zurückdenke.

Wie hat sich deine Verbindung zu dem Projekt entwickelt?

Die Firma, das war eine GmbH, die ist dann pleite gegangen. Ein Großteil der Leute, die damals zu dem harten Kern der Techno-Coop gehört hatten, hatten bei der Bank gebürgt für die Schulden, und so gab es nur die Möglichkeit, das Objekt aus der Konkursmasse wiederzukaufen und dann dafür sorgen, daß die Bank einigermaßen zufrieden gestellt wird. Die haben dann auf 80.000 Mark verzichtet, für den Rest haben wir es gekauft und zahlen es jetzt ab.

Und jetzt guckst du dir das mehr oder weniger von außen an, was da passiert?

Nee, stell dir vor, ich bin handwerklich verhältnismäßig be

gabt, bin jeden dritten Samstag im Monat am Arbeiten auf dem Gelände und ich regele die Finanzen von dem Objekt, ich bin da beteiligt als Eigentümer und mache noch so ein paar andere Kleinigkeiten. Es ist immer noch was zu renovieren und instandzusetzen und das macht mir wirklich Spaß.

Wie beurteilst du denn den Zustand heute, die Funktion, die die Reuterstraße heute hat für Walle?

Ich finde die Parole „Reuterstraße 9-17 - Zehn Jahre in Volkes Hand“, ich finde das ein Stück weit lächerlich, aber auch ein Stück weit Traum. Bei den An

throposophen gibt es so eine Idee, daß man ein Grundstück rechtlich verselbständigt, daß es keinen Eigentümer mehr hat. Aber das ist in unserem Rechtssystem nicht möglich. Also ist es irgendwie nicht richtig in Volkshand. Ich glaube, daß die Reuterstraße hier in Walle etwas zurückgetreten ist ins Glied und daß es hier eine ganze Menge Kneipen, Kulturkneipen gibt, Wohngemeinschaften'Theater-Ecken, Galerien und was weiß ich nicht alles sind, fernab von Schicki-Micki-Kultur dafür sorgen, daß hier eine Stadtteilkultur entsteht, die eben nicht profitorientiert ist. Es ist eben so, daß wir hier in Walle auch ein kleines bißchen stolz darauf sind, daß wir uns eine ganz große Unabhängigkeit bewahrt haben und das ist bei den GaDeWe-Leuten ganz deutlich, da wird wirklich aus dem Nichts Alles gemacht und das find ich wahnsinnig gut.

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