Q U E R S P A L T E Tarnkappenbesucher Jelzin

■ Auf der Suche nach einem sowjetischen Oppositionspolitiker in den USA

In New York war er - getreu der Maxime Andy Warhols - für fünfzehn Minuten ein (Broadway-)Star, die Hauptquartiere der großen Fernsehgesellschaften reichten ihn herum, für die CBS -Evening News wurde er interviewt und kurz vor Mitternacht auch für Nightline von der Konkurrenz ABC. Boris Jelzin eroberte den „Big Apple“ im Sturm. Ihm gefiel es, er fand die Menschen liebenswert, die Fifth Avenue prächtig, und die Freiheitsstatue tat es ihm so an, daß er seinen Helikopter gleich zwei Runden drehen ließ.

Um so düsterer waren die Prophezeiungen, die Jelzin über seine Heimat kundtat. Krise war das häufigst gebrauchte Wort, jeweils mit anderem Adjektiv: finanziell, ökonomisch, politisch. Ein Jahr habe das sowjetische Riesenreich noch Zeit, sich am eigenen Zopf aus dem sozialistischen Sumpf zu ziehen, danach gebe es die Revolution von unten.

Am Dienstag ging es von der amerikanischen Hauptstadt des Kommerzes in die der Politik. Der taz-Korrespondent möchte sich auf die Spuren des russischen Rebellen begeben und greift zum Telefon: Das Foreign Press Center hat zwar alle Termine parat. Doch Herr Jelzin taucht im Kalender nicht auf, der Besuch sei privat, vielleicht wisse man ja bei der US Information Agency Bescheid, erfahre ich. Mir fällt ein, daß für private Initiativen eher das Institut für sowjetisch -amerikanische Beziehungen zuständig ist, eine bewährte Informationszentrale für die inoffizielle Ost-West -Bürgerdiplomatie. Auch dort ist man nicht klüger, man hat nur die Telefonnummer des kalifornischen Esalen-Instituts, das den Jelzin-Trip organisiert hat. Wegen der Zeitverschiebung sei da aber vor Mittag niemand zu erreichen...

Also doch die ungeliebte USIA anrufen. Jelzin? Nein, nichts bekannt, man solle das State Department anrufen oder vielleicht die sowjetische Botschaft. Na gut, State Department. Siehe da, um zwei Uhr nachmittags sei der sowjetische Besuch bei Minister Baker angesagt. Presse? Ist im Plan nicht vorgesehen, meint die Pressedame des Außenministeriums. Ich kann's nicht glauben, irgendeine Denkfabrik muß doch ihren Vortragssaal leergeräumt und diesen Mann eingeladen haben! Letzte Chance: die Kollegen von dpa - doch auch die sind nicht klüger als ich. Erst zur Lunchzeit erfahre ich endlich, daß Jelzin sich abends um neun der Presse stellen will. „In Chicago“, sagt der Mann vom Esalen-Institut.

Stefan Schaaf