Perus Militär beseitigt unliebsame Zeugen

Die 22jährige Krankenschwester Martha Crisostomo wurde am vergangenen Freitag erschossen / Sie war die neunte ermordete Zeugin eines Massakers der Armee, dem im peruanischen Hochland im Mai 1988 mindestens 28 Bauern zum Opfer fielen  ■  Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Acht maskierte Männer in Militäruniform stürmten am vergangenen Freitag in einem Vorort der peruanischen Stadt Ayacucho die Wohnung der 22jährigen Krankenschwester Martha Crisostomo Garcia und erschossen sie. Auch ihre Mitbewohnerin wurde ermordet. Ein „Fall“ mehr. Zwei Tote mehr im Krieg, der seit nunmehr acht Jahren

-ziemlich unbeachtet von der Weltöffentlichkeit - im Hochland des Andenstaates geführt wird. Es ist ein grausamer Krieg, in dem kaum Gefangene gemacht werden. 1980 von der maoistischen Guerilla des „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad) ausgerufen, sind ihm seither an die 14.000 Menschen zum Opfer gefallen. Die wenigsten von ihnen waren allerdings Soldaten oder Guerilleros. Die allermeisten waren Kleinbauern, „hingerichtet“ von den Senderisten als Spitzel des Regimes oder - laut Menschenrechtsorganisationen weitaus häufiger - Opfer des schmutzigen Krieges, den die Armee im Hochland führt. „Damit sie mehr Erfolge haben, sollten sie damit anfangen, sowohl Sendero-Mitglieder als auch Nichtmitglieder zu töten, weil das die einzige Form ist, den Erfolg zu sichern. Sie töten 60 Menschen, und vielleicht sind darunter drei Sendero-Mitglieder“, empfahl General Luis vor drei Jahren in einem Interview. Den Ratschlag erteilte der ehemalige Innenminister den Polizeikräften, doch auch die Militärs, an die die Regierung in den Kriegsgebieten ihre Machtbefugnisse längst delegiert hat, befolgen ihn quasi systematisch. Die am Freitag erschossene Martha Crisostomo war indirektes Opfer dieser militärischen Strategie. Sie war Zeugin eines Massakers, dem vor anderthalb Jahren mindestens 28 Bauern zum Opfer fielen. Als Reaktion auf einen Guerilla-Angriff auf einen Armeekonvoi, bei dem ein Offizier und drei Soldaten getötet wurden, überfielen Einheiten der Armee am 14.Mai 1988 das Dorf Cayara. 28 Einwohner wurden ermordet, unter ihnen der Leiter der örtlichen Schule, Mitglieder des Gemeinderates und einige Kinder. Fünf Männer wurden in die Kirche des Ortes gebracht und dort zu Tode geprügelt.

Als das Massaker ruchbar wurde, beauftragte die Regierung Carlos Escobar mit der Untersuchung des Falls. Doch die örtlichen Militärs verwehrten dem Sonderbeauftragten der peruanischen Generalstaatsanwaltschaft in Ayacucho zwei Wochen lang den Zutritt zu Cayara. Als er am 27.Mai in Begleitung von Parlamentariern und Richtern schließlich im Ort eintraf, fand er nur noch Gräber, die Leichen waren verschwunden. Der Staatsanwalt konnte immerhin noch blutige Schädelknochen, Hautfetzen und Haare als Beweismaterial sichern. Über 40 Dorfbewohner schilderten dem Juristen, wie die Soldaten ihre Opfer eines nach dem andern töteten, zum Teil mit Äxten und Macheten. In seinem Schlußbericht hielt Escobar fest, daß es genügend Beweise gebe, um den verantwortlichen General Jose Valdivia sowie eine Reihe weiterer Offiziere vor die Schranken des Gerichts zu bringen.

Doch der Staatsanwalt hatte seine Rechnung ohne den Wirt gemacht - d h. ohne die Militärs. Mindestens neun Personen, die Escobar gegenüber ausgesagt hatten, „verschwanden“ oder wurden ermordet. Unter den beseitigten Zeugen befindet sich auch der Bürgermeister von Cayara, Justiniano Tinco Garcia. Er wurde am 14.Dezember zusammen mit seiner Sekretärin, Fernandina Palomino Quispe, an einer Straßensperre angehalten, aus dem Lastwagen geholt und vor den Augen der Mitreisenden gefoltert und anschließend getötet. Der Fahrer, Felix Garcia Tipe, wurde an seinen LKW gefesselt und mit einer Granate umgebracht. Martha Crisostomo ist nun das jüngste Opfer in einer Reihe von Zeugen, die vielleicht ohnehin nie vor Gericht erschienen wären. Denn bis heute ist niemand wegen des Massakers von Cayara angeklagt. Das Büro von Carlos Escobar aber, das 573 Anzeigen über das „Verschwinden“ von insgesamt 1.045 Personen entgegengenommen hat, wurde bereits vor einem Jahr geschlossen - „mangels finanzieller Ressourcen“, wie die offizielle Begründung lautet.

Doch selbst wenn es je zu einem Prozeß kommen sollte, ist höchst unwahrscheinlich, daß die Gerechtigkeit sich durchsetzen würde. Nachdem im Juni 1986 in Parco Alto, ebenfalls in der Region Ayacucho, eine Militärpatrouille 13 Zivilpersonen ermordete und deren Leichen anschließend verbrannte, wurde zwar ein Prozeß eröffnet. Am 22.Juni 1988 meldete der Militärgerichtshof den Fall als „definitiv abgeschlossen“. Er befand, daß der Tod der 13 Zivilpersonen „die Folge einer mit internen Richtlinien zusammenhängenden militärischen Operation war und demzufolge nicht als Mord angesehen werden kann“. „Da somit kein Vergehen vorlag“, heißt es in der abstrusen Begründung weiter, „ist das Verbrennen der Leichen nicht als Verschleierungsversuch anzusehen, sondern als eine durch die prekäre Situation in den unter Ausnahmezustand stehenden Gebieten hervorgerufene Abweichung von der üblichen Vorgehensweise.“