Gezielte Sabotage

■ Marchstr./Einsteinufer: Wollte die politische Staatsanwaltschaft den Innensenator mit kalter Räumung brüskieren? / Gewartet, bis Pätzold in Urlaub war

Anscheinend im Alleingang haben politische Staatsanwaltschaft und Polizei die „kalte“ Räumung der besetzten Häuser in der Marchstraße/Ecke Einsteinufer durchgeführt. Die Innenverwaltung war über den Polizeieinsatz Freitag letzter Woche nicht informiert worden. Dies bestätigte Pressesprecher Haake gestern. Die besetzten Häuser waren unter massivem Polizeiaufgebot durchsucht und von der Bauaufsicht geschlossen worden.

Mit Überraschung wurde zu Kenntnis genommen, daß die Durchsuchung erst nach Pätzolds Urlaubsantritt durchgeführt wurde, obwohl die Durchsuchungserlaubnis des Landesgerichts bereits vom 10.Juli stammt. Geäußert wurde der Verdacht, die von der Auflösung bedrohte politische Abteilung der Staatsanwaltschaft wolle den rot-grünen Senat mit einer Räumung in Schwierigkeiten bringen. In der Vergangenheit war Pätzold selbstverständlich von einer möglichen Räumung informiert. Ein in der Marchstraße anwesender Anwalt teilte zudem mit, daß der Staatsanwalt vor Ort dafür sorgte, daß die Bauaufsicht das Gebäude sperren ließ und damit den Grund für die kalte Räumung lieferte.

Die Bemühungen der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft um eine Durchsuchungserlaubnis gehen schon auf den April zurück. In erster Instanz wurde der Antrag von Staatsanwalt Schweizer abgelehnt. Erst das Landgericht genehmigte dann die Durchsuchung. Daß der Polizeieinsatz erst elf Tage später durchgeführt wurde, entspräche dem üblichen Verfahrensgang, erklärte Justizsprecher Achamer.

Der Polizeieinsatz ist von AL- und SPD-VertreterInnen heftig kritisiert worden. „Hier ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt worden“, erklärte die Charlottenburger Bezirksbürgermeisterin Wissel (SPD) gestern morgen bei einem Ortstermin in der Marchstraße. Zusammen mit Staatssekretär Kremendahl (SPD), Hilde Schramm (AL) und einem Vertreter der Bauverwaltung machte die Bürgermeisterin sich ein Bild von der aktuellen Lage. Das Vorderhaus Marchstraße 23 ist inzwischen wieder bewohnt. Hinterhaus, Seitenflügel und das Gebäude Einsteinufer 41 sind weiterhin gesperrt. Die BesetzerInnen fordern, daß auch die anderen Gebäudeteile wieder geöffet werden. Derzeit müssen sich rund 70 Personen das Vorderhaus teilen.

Kritik wurde auch an dem bisherigen Gang der Verhandlungen um die Häuser geübt. SPD und AL hatten bereits Ende Mai beschlossen, in den Häusern ein interdisziplinäres Wohn-, Lebens- und Arbeitsprojekt zu verwirklichen. Dazu wurde eine senatsübergreifende Kommission unter Federführung von Staatssekretär Kremendahl eingerichtet. Wissenschafts-, Bau und Finanzverwaltung sollten sich um den Ankauf der Häuser, die der privaten Immobiliengesellschaft Hennig van Harlessem GmbH gehören bemühen. Passiert sei jedoch, so beklagen die Besetzer Innen, noch nichts. Die Wissenschaftsverwaltung weist das zurück. Ob das Projekt Marchstraße jedoch wie geplant realisiert werden könne, hänge von der Bausubstanz der Häuser und dem Kaufpreis ab.

-guth