GONCOURT: Anita Albus "Edmond und Jules de Concourt, Blitzlichter - Portraits aus dem 19. Jahrhundert"

Ein unverzichtbares Nachschlagewerk für die Liebhaber höheren Klatsches. Außerdem ein sehr handfest spaßiges Lesevergnügen. Anita Albus hat aus den Tagebüchern von Edmond und Jules Goncourt knapp dreihundert Seiten zusammengestellt und hervorragend übersetzt. Nicht chronologisch, sondern als ein alternatives Autorenlexikon. Von Baudelaire bis Zola ist alles versammelt, was zwischen 1850 und 1870 in der französischen Literatur Aufsehen machte. Die Formulierungskünstler und Geistesgrößen erscheinen da allerdings in wenig schulbuchmäßiger Gestalt. „Flaubert erhielt vom Arzt des alten Demidoff folgenden Bericht über dessen Art zu vögeln. Demidoff in einem Sessel, hinter ihm zwei Lakaien - einer mit feuervergoldeter Zuckerzange, um ihm die Zunge wieder in den Mund zu schieben. (Die Duverger sagt von ihm: 'Seine Zunge ragt immer heraus, sein Schwanz nie.‘) Die Lakaien würdevoll und in Livree, ein Handtuch über dem Arm. Ein Arzt fühlt ihm den Puls. Vor ihm die nackte Duverger. Herein kommt ein großer Neufundländer, der die Duverger zu bespringenversucht. 'Schnell, schnell!‘ schreit der Arzt in dem Augenblick, in dem Demidoff steif zu werden beginnt. Und die Duverger stürzt sich hinab und lutscht ihn.“ Flauberts Anmerkung zu dem von ihm immer wieder zitierten de Sade: sein „Grauen vor der Natur. Nicht ein Baum, nicht ein Tier im ganzen de Sade.“ Gautier hellhörig über Flaubert: „Wissen Sie, es gibt bei ihm sogenannte Brüllarien, Sätze, die ihm sehr harmonisch vorkommen; aber man müßte lesen wie er, um die Wirkung seiner Brüllarien zu erzielen.“ Die Goncourts über Gautier: „ein massiges Gesicht mit erschlafften Zügen, teigigen Linien, schläfrigem Ausdruck, ein in einem Faß voll Materie untergegangener Verstand, die Müdigkeit eines Nilpferds..“ Sehr klug Gautier über sich selbst: “.. ich habe eine wohlgeordnete Syntax im Kopf. Ich werfe meine Sätze in die Luft wie Katzen - ich bin sicher, daß sie wieder auf die Tatzen fallen. Das ist ganz einfach: man muß nur eine gute Syntax haben...“ Über Victor Hugos Engagement während der Pariser Kommune notieren die beiden: “...durch das Fenster im Erdgeschoß, in dem Zimmer, das Hugo sich ausgesucht hatte, sah das Dienstmädchen von Madame Meurice, wenn sie morgens oder abends im Garten herumstrich, nackte Partien seltsamer Priapfeste. Das scheint Hugos Hauptbeschäftigung während der Belagerung gewesen zu sein.“ Am schönsten freilich die Lebensgeschichte von Rosalie Malingre (1837-1862), dem Dienstmädchen der Goncourts. Die beiden kannten sie seit ihrer Kindheit als sich aufopfernde, immer präsente, allgegenwärtige Bemutterin ihrer Herren. Dann stirbt sie und die Goncourts entdecken, daß Rosalie ein Leben führte fast wie die Herrschaften: Schulden und Liebhaber, Lungenleiden und Orgien. Mir gefällt die kleine Anekdote von Michelet sehr, in der der alte Herr erklärt, er sei mit dreißig so beängstigend krank geworden, daß er von da an auf die Anstrengungen der Lektüre habe verzichten und seine Bücher lieber habe selbst schreiben wollen. „Rollinat sprach heute über Rimbaud, den Geliebten von Verlaine, der das Verabscheuungswürdige und Ekelerregende verherrlicht; er kam ins Cafe, legte seinen Kopf auf den Marmortisch und schrie ganz laut: 'Ich komme um, ich bin am Ende. X hat mich die ganze Nacht in den Arsch gefickt... Wie soll ich meine Fäkalien noch zurückhalten?‘ Was für ein Mensch! Was für ein Dämon der Perversität!“

Edmond und Jules de Goncourt, Blitzlichter - Portraits aus dem 19. Jahrhundert, ausgewählt und aus dem Französischen übertragen von Anita Albus, Franz Greno Verlag, 333 Seiten, mit s/w Abbildungen, 33 DM