Eine Revolution der Ratlosen

■ Was passiert, wenn die Fußballbundesliga ihre Regeln ändert und Werder weiterhin gegen Uerdingen spielen muß / Kleine Vorausschau auf die kommende Saison

„Kein Problem“ meinte Werder-Manager Willi Lemke am Sam stag. Irgendwann im Verlaufe des Interviews im ZDF -Sportstudio fragt dann Moderator Jauch: „Was will uns der Autor damit sagen“, und das wußte Werder-Willi dann auch nicht so genau. Null-Problemo-Lemke war geladen worden, um der vor dem Fernsehschirm versammelten Fußballgemeinde Sinn und Zweck der neuen Regelungen in der Fußballbundesliga zu erklären, „Revolution“ nennen das einige. Eine Revolution, gemacht ausgerechnet von einem stockkonservativen CDU -Kultusminister, dem Herrn Meyer-Vorfelder aus Baden -Württemberg, im Hauptberuf Fußballpräsident des VfB Stuttgart und Revolutionsführer einer privilegierten Gesellschaft, der vereinigten Bundesliga-Vereine.

Die fühlen sich seit Jahren von dem verkalkten DFB nicht mehr ausreichend vertreten. Sitzen da doch all die Herren, die immer noch davon träumen, daß da nur elf Freunde fleißig auf dem Platz zu arbeiten haben, und dann kommen auch die ZuschauerInnen. Auf der anderen Seite die alerten Manager, die Lemkes, Hoeneß‘, Meyer-Vorfelders, deren Credo die hemmungslose Amerikanisierung des Umfelds ist. Wenn das Spiel selbst kaum jemanden in die Stadien lockt, so deren Überlegung, dann muß das Drumherum

für Gesprächsstoff, Zuschauer- zustrom und profitable Werbeeinnahmen sorgen. Wenn der Bundesligaalltag alleine nicht spannend genug ist, die Modernisierung der Stadien alleine nicht hilft, dann muß das Spiel zweier Mannschaften, ansonsten in 90 Minuten entschieden, eben 180 Minuten dauern und mit ein paar im Europacup ausprobierten Regelfinessen angereichert werden.

Wie aufregend das im Alltag werden wird, läßt sich am besten anhand eines Beispiels erklären. Werder Bremen gegen Bayer Uerdingen. Ausgangssituation: Langeweile. Werder hat einen UEFA-Cup-Platz so gut wie sicher. Die Schlaftabletten -Mannschaft Uerdingen ist jenseits von Gut und Böse. Das erste Spiel in Uerdingen haben die Bremer mit 2:1 verloren. 180 Fehlpässen standen etwa 10 Torschüsse gegenüber.

Eine Woche später gibt es in Bremen das Rückspiel. Werder hat den Uefa-Cup-Platz immer noch so gut wie sicher, Uerdingen ist immer noch jenseits von Gut und Böse. „Das neue Spielsystem bringt mehr Offensiv-Fußball“,

hatte Werder-Manager Lemke im Sportstudio versprochen. Keiner könne es sich mehr erlauben, einfach hinten drin zu stehen. Weit gefehlt, Willi. Die Uerdinger sind im Weser -Stadion durch schier nichts zu bewegen, ihre Füsse in die Werder-Hälfte zu bringen. Auf den Rängen langweilen sich die 8.500 Unentwegten, denen partout nichts Besseres einfällt, als am Samstag in ein Fußballstadion zu gehen. Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten, wußte weiland der alte Sepp Herberger. Mit ersterem hat er immer noch recht. Denn Werder hat am Ende irgendwie zwei Tore ins Uerdinger Netz gewürgt, und auch die Uerdinger haben eins geschossen. Mit dem zweiten liegt der Seppl neuerdings falsch. Heißt es doch in der neuen Fußballogik: Beide Mannschaften haben auswärts und zu Hause je gleichviele Tore geschossen. Es folgt das Elfmeterschießen. Nun ist ein Elfmeterschießen zum Schluß eines Europacup-Krimis immer herzinfarktverdächtig. Zum möglicherweise siebten Mal, in der laufenden Saison, ohne jede Relevanz für die

Tabelle, ist es ein lahmer Heuler. Und so machen sich bei Werder-Uerdingen die Fans noch vor dem shut-down in Massen zur Sportschau davon.

In der nächsten Woche spielt Werder dann gegen Nürnberg. Die werden treten wie die Wilden, weil sie verständlicherweise nicht absteigen wollen. Derweil die Werder-Profis ebenso verständlicherweise aufpassen werden, daß sie gegen Ende der Saison nicht allzuviele blaue Flecken einfangen und das Spiel trotzdem ohne Gesichtsverlust über den Rasen bringen. Die letzten 6.500 zahlenden Zuschauer kommen nun auch endgültig in eine Fan-Seins-Krise.

In der kommenden Saison soll es losgehen. Und am Ende wird Werder-Willi im Aktuellen Sportstudio sitzen und nicht mehr mit dem amerikanischen Null-Problemo-Weltraummonster zu verwechseln sein: „So geht's nicht“, wird er sagen und dann womöglich die nächste Revolution präsentieren: Die Verbreiterung der Tore auf die gesamte Torauslinie nebst Abschaffung der Torhüter.

hbk