RAUSCHEN IM BAMBUSWALD

■ Stakkato im Schlesischen Tor

Daß man unter U-Bahngleisen nicht nur parken, sondern auch trefflich muszieren kann, beweist nunmehr seit fünf Jahren die Konzertreihe „Stakkato“ in den Gewölben unterhalb des U -Bahnhofs Schlesisches Tor.

Das Programm erstreckte sich diesmal vom computergesteuerten Bambusstabhaspeln über einen „Deutsch Ungarischen Grenzkonflikt“, ausgetragen zwischen Baßklarinette, Bechstein-Flügel und Schlagzeug, bis zu Peter Hollinger, seines Zeichens Geräuschproduzent auf Schrott und anderen Instrumenten. Eine obskure Mischung aus sechs völlig unterschiedlichen Darbietungen an zwei Abenden. Im nachhinein verschwimmt im Gehörgedächtnis alles zu einem fetten Brei, dessen unansehnliche Bestandteile sich auch mit der stärksten Löffelbewegung kaum noch identifizieren lassen. Aber wer möchte auch schon gern wissen, was sich in seiner Erbsensuppe verbirgt.

Die Forschungsgruppe „CAMP“ (Computer Aided Music Processing) präsentierte ihre neusten Versuchsergebnisse der Öffentlichkeit, aus dem Labor an der Technischen Universität direkt auf die Bühne. Bevor man seinen Atari anwirft, erklärt man dem Publikum, wenn auch nur trivialwissenschaftlich, das jeweilige Aufnahmeverfahren. Jemand hat beispielsweise zwei Bambusstöcke aufeinandergeschlagen und den Ton aufgezeichnet. Dieses Geräusch wird nun in Echtzeit (auch nach dreimaligem Erklären habe ich nicht den Unterschied zur „normalen“ Zeit kapiert) abgerufen. Mal schneller, mal langsamer hört man die Bambusstöcke zusammenprallen, obwohl man sie nicht sieht, sondern nur einen Monitor und eine Person, die sich durch Datenberge zu wühlen scheint. Ich weiß, daß ich zwei Bambusstäbe höre, zwölf Minuten lang, in einer „digitalen Synthese mit Echtzeit-Steuerung, eine Komposition mit interaktiver Kontrolle“. Das mag alles richtig sein, aber es macht keinen Spaß, dem zuzuhören, auch wenn es sich hierbei um einen „psychoakustischen Effekt eines algorithmischen Klang-Modells“ handelt. Der weitaus sinnlichste Effekt des Technospektakels war der Stromschlag, den die Elektroingenieure, so nennen sich die Musiker selbst, sich beim Zusammenstöpseln der diversen Kabel gegenseitig verpaßten.

Nachhaltig im Gedächtnis verankern konnte sich beim Stakkato eigentlich nur der Percussionist Peter Hollinger. Er drischt auf sein Schlagzeug ein, das erste Trommelfell reißt schon nach wenigen Takten. Mit der Reparatur wird jedoch sofort begonnen. Der Baß, bogengeschwungen von Klaus Wilmanns, überbrückt den schlagzeugfreien Raum mit düsteren Klangmalereien. Dann setzt Hollinger wieder ein, scheppert eine snare in die Ecke, schnappt sich ein großes Aluminiumrohr, stellt es mit der Öffnung nach oben auf, holt eine dünne Stahlstange und zieht diese an der Kante des Rohrs rhythmisch auf und ab. Der Baß antwortet dem Rohr mit einem freundlichen Brummen. Fast hektisch geht es voran, Hollinger trommelt mit verzerrtem Gesicht auf ein anderes Schrotteil ein, ein Kochtopfdeckel schleift jaulend über ein Blech.

Zwischendurch rumpeln die schweren U-Bahnwagen direkt über unsere Köpfe hinweg. Endstation, alles aussteigen. Schade, daß sich unter den Gleisen, in den Räumen des ehemaligen Kaufhauses Kato, keine freistehenden, genieteten Eisenträger befinden. Dann könnte Hollinger, oder jeder, der Lust verspürt, auf ihnen herumtrommeln. Vielleicht würde man die Schläge sogar einen Bahnhof weiter noch hören, an der Stelle, wo vor genau zwei Jahren am 1.Mai ein großes Open -air-Konzert mit Feuerzauber stattfand. Vielleicht hat das auch alles nichts miteinander zu tun. Aber für mich klingt Hollingers Percussion wie die kultivierte Version des auf Telefonzellen, Autos und anderem Blechschrott getrommelten Aufstands. Und er ist der einzige beim „Stakkato“, dessen Musik Authentizität, vielleicht sogar so etwas wie ein nicht verlogenes Lebensgefühl, ausstrahlt. Alles andere ist im Grunde Unterhaltung, wenn auch gutgemachte, wie die der „Funhorns“, ein Bläserquartett aus der DDR.

Hollinger behauptet nach dem Konzert, er hätte viel lieber in Cottbus oder Leipzig gespielt, da wären die Zuschauer begeisterungsfähiger. Hier gäbe es kaum noch Auftrittsmöglichkeiten für schrägere, avantgardistische M'usik, wesentlich weniger als zu Zeiten der besetzten Häuser etwa. Heute muß man sich schon vom Kultursenator subventionieren lassen, um so etwas wie „Stakkato“ zu veranstalten. Und dann gibt es trotzdem nur eine Hungerlohngage von 200 DM, und es kommt nur eine Handvoll Leute. Die nächste Chance, Hollinger in Berlin-West live zu erleben, besteht erst wieder am 17.Juni im Eiszeit-Kino, wo er mit dem amerikanischen noise-Spezialisten Tom Cora auftreten wird.

Andreas Becker