Majdanek-Adjutant mit tadelloser Lebensführung

Auch am Ende des Bielefelder Majdanek-Prozesses zweifelt die Verteidigung an ZeugInnenaussagen über Vergasungen / Einstellung des Verfahrens oder Freispruch für ehemaligen KZ-Adjutanten beantragt / Polnische Überlebende des Vernichtungslagers der Lüge bezichtigt  ■  Aus Bielefeld B. Markmeyer

„Die Einstellung des Verfahrens, hilfsweise Freispruch“ oder „höchsthilfsweise eine niedrige Strafe“ forderte der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Rainer Eggert gestern in seinem Plädoyer im Bielefelder Majdanek-Prozeß. Ein Meineidsverfahren gegen den 77jährigen ehemaligen Adjutanten des Vernichtungslagers, das das Bielefelder Verfahren ohnehin „nur unnötig belastet habe“, sei einzustellen.

Höcker, der vom April 1943 bis zum Mai 1944 Adjutant in Majdanek und davor und danach in anderen Lagern, so auch in Auschwitz, „tätig“ war, sei während der NS-Herrschaft „unstreitig schuldig geworden“. Dafür dürfe er aber „nicht mehrfach bestraft werden“. Die siebenjährige Freiheitsstrafe, zu der Höcker wegen seiner Adjutantentätigkeit in Auschwitz 1965 in Frankfurt verurteilt worden war, müsse auf das Bielefelder Urteil angerechnet werden. Bei einer Verurteilung könne das Bielefelder Schwurgericht deshalb noch unter der Mindeststrafe für Beihilfe zum Mord von drei Jahren bleiben. Strafmildernd wirke das Alter des Angeklagten, seine tadellose Lebensführung und die seit den Taten verstrichene Zeit. Eggert eröffnete sein Plädoyer mit einer Publikums und Presse beschimpfung. Immer wieder sei ihm unterstellt worden, daß er die Verbrechen der Nazis verharmlose. Als Verteidiger habe er die Pflicht zu prüfen, was wirklich geschehen sei. Bei den ZeugInnenaussagen kam Eggert zu der Erkenntnis, daß der Prozeß nur „dürftige Erkenntnisse“ über „die uns besonders interessierende Gaskammerfrage“ erbracht habe. Für den Staatsanwalt, der fünf Jahre Haft gefordert hatte, ist dagegen durch Dokumente erwiesen, daß sich Höcker an Vergasungen mitschuldig gemacht hat.

Eggert hingegen stellte die Frage, ob man angesichts der Beweislage überhaupt davon ausgehen könne, daß in Majdanek während der Adjutantentätigkeit Höckers Menschen vergast worden sind. Anhand von zwei Dutzend ZeugInnenaussagen versuchte der Rechtsanwalt zu zeigen, daß die Angaben darüber, wann Menschen vergast wurden, wo die Gaskammern standen, wo Leichen lagen, wie diese aussahen und wie die Häftlinge von Vergasungen erfuhren, stark voneinander abgewichen seien. „Das, was die Zeugen vom Hörensagen berichten, bringt überhaupt nichts.“

Besonders hart ging Eggert mit den Aussagen der wichtigsten Anklagezeugen, vier ehemaligen Häftlingen aus Polen, ins Gericht. Alle hatten betont, nur das zu schildern, was sie selbst erlebt und gesehen hätten. Sie hinterließen mit ihren Schilderungen des Lagergrauens einen tiefen Eindruck. Eggert unterstellte ihnen teilweise konstruierte Aussagen. Und weiter: „Die kamen alle mit der üblichen Begleitung, mit dem üblichen Eifer und mit der üblichen Bitte um eine Pause.“

Eggert bestritt nicht die durch Dokumente belegte Lieferung von 4.500 kg Zyklon B während Höckers Adjutantentätigkeit in Majdanek, behauptete aber, daß das Giftgas nach der Ermordung von 18.000 Juden am 3.11.1943 nicht mehr zur Vergasung von Menschen benutzt worden wäre.

Der Bielefelder Rechtsanwalt Meißner, Höckers zweiter

Verteidiger, schloß sich Eggerts Plädoyer an. Die

Urteilsverkündung wird für den 3. Mai erwartet.