Der Kampf um vierzehn Häfen

Als am 23. Februar die christlich-maronitische Miliz „Forces Libanaises“ (FL) aus dem 5. Becken des Ostbeiruter Hafens abzog, die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an die libanesische Armee und die „Spezialtruppen zur Inneren Sicherheit“ (FSI) ging, die Zollhoheit an die „staatlichen“ Behörden, da wurde gejubelt und „dieser erste Schritt zur Beendigung des Bürgerkriegs“ allenthalben begrüßt.

Der Staatschef im Ostbeiruter Christenlager, General Michel Aoun, hatte gerade verkündet, seine Armee beanspruche ab sofort die absolute Autorität über alle libanesischen Hoheitsgewässer und damit die Kontrolle über sämtliche Häfen. Notfalls werde er diesen Anspruch auch mit Gewalt durchsetzen. Und zum Beweis seiner heutigen Entschlossenheit schickte der General seine Küstenwachschiffe auf Tour, um die Häfen zu blockieren, und ordnete - als eine Art Drohgebärde - über dem gesamten Küstengebiet „Übungs„flüge der libanesischen Luftwaffe an, die nach der Spal tung der Armee im vergangenen Herbst unter sein Kommando gefal len war.

Seit fünf Wochen hat kein Schiff mehr in den blockierten Häfen angelegt. Mittlerweile sind vor allem Benzin und Mehl knapp geworden, die Westbeiruter Bevölkerung wird schmerzlich daran erinnert, daß die Häfen unter Kontrolle der moslemischen Milizen durchaus ihren praktischen Wert haben. Schließlich importiert der Libanon nicht weniger als 90 Prozent der im Land verbrauchten Konsumgüter. Neben der Versorgung der jeweiligen Hoheitsgebiete dienen die vierzehn Häfen, von denen bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges fünf legal waren, als wesentliche Geldquellen der Milizen: Vor allem seit Beginn der 80er Jahre, als durch den seit 1975 andauernden Bürgerkrieg auch noch die wenigen Reste staatlicher Institutionen immer mehr zerfielen, haben sich die Milizen in allen Landesteilen von der rein militärischen Macht zur sozialen und ökonomischen Institution gemausert.

Sie haben sozialpolitische Programme entwickelt und fühlen sich daher auch berechtigt, Steuern zu kassieren - was gleichzeitig für unaufhaltsame Ebbe in den zentralen Kassen des Nationalstaates sorgt. Die Milizen regeln auch das Wirtschaftsleben in den Ministaaten und bestimmen mit über die Preise für Grundnahrungsmittel, Erdölprodukte, den jeweils gültigen Wechselkurs oder die Mindestge hälter.

Als General Aoun im Februar die Forces Libanaises“ im Ostbeiruter Stadtgebiet entmachtete. rechnete er der Öffentlichkeit vor, die FL hätten täglich rund 420.000 US -Dollar an Wegegeld und Steuern kassiert. Älteren, detaillierten Angaben zufolge (die Richtigkeit dieser Angaben ist natürlich nicht überprüfbar) werden alle Ausgaben der Miliz aus einem zentralen Fonds bestritten: Neben Sold und Bewaffnung werden diverse Kasernen, Büros, Fuhrparks und eine Kaderschule finanziert. Zwei Radios und zwei TV-Sender, Zeitungen, Magazine sowie ein öffentliches Transportsystem mit einer Vielzahl von Buslinien werden mit diesen Geldern unterhalten. 1987 wurde eine „Solidaritätsstiftung“ eingerichtet, die besonders Bedürftige unterstützt und die üblichen Renten bei Todesfällen und Invalidität im Dienste der Miliz auszahlt.

Die täglich im sogenannten „Christenland“ verbrannten 60.000 Liter Benzin werden mit 40 libanesischen Lira (L.L.) pro Liter von der FL besteuert. (Der Wert der Lira fällt kontinuierlich, heute bekommt man für einen Dollar etwa 700 L.L., zum Zeitpunkt der zitierten Steuerschätzung waren es noch 365 L.L.) Diesel wird mit 18.000 L.L. pro Tonne belegt, Haushaltsgas wird flaschenweise besteuert. An einer Tonne importierten Mehls verdienen die FL 20.000 L.L. Von den durchschnittlich 100 Schiffen, die jeden Monat den Hafen von Beirut anlaufen, wurden bislang etwa 80 im 5. Becken der Christenmiliz abgefertigt und sorgten so für ein Mindesteinkommen der FL von etwa 50 Millionen L.L. pro Monat.

Der Hafen von Jouniyeh, auch heute noch unter FL-Kontrolle, ist Anlaufstelle der Passagierfähre aus Zypern. Durchschnittlich 600 Passagiere täglich zahlen pro Ticket 40 US-Dollar an die FL. Passagiere, die ab Jouniyeh reisen, entrichten zusätzlich 150 L.L. Ausreisesteuer. Außerdem kassiert die FL vor allem an zwei Kontrollstellen, wo Straßen das „Christenland“ mit dem Restlibanon verbinden: „Borbara“ an der Küstenstraße, die in den Norden führt, und „Monteverde“ auf dem Weg vom östlichen Metn-Gebirge zum Shouf. Dort wird ein Wegezoll von zwei Prozent des geschätzten Frachtwertes kassiert, beide Stellen zusammen bringen mindestens 20 Millionen L.L. im Monat. Außerdem liefern alle Unternehmen im „Christenland“ 2 bis 3 Prozent ihres Produktionsvolumens ab, die Gewinnsteuer beträgt zusätzlich 3 bis 5 Prozent. Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien, Apotheken und Supermärkte zahlen ermäßigte Schutzgelder. In Restaurants und Bars werden vier Prozent Milizsteuer auf die Kundenrechnung geschlagen, Billets für Theater und Kino werfen 4 Prozent des Preises für die FL ab. Die beachtliche Summe von mindestens 30 Millionen L.L. monatlich an Restaurations-, Unterhal tungs-, und Glücksspielsteuer wur de 1987 allein vom „Casino Liban“ kassiert.

Auf moslemischer Seite hat zum Beispiel die Drusenpartei PSP (Progressiv-Sozialistische Partei) das zivile Leben der Shouf-Berg-Bewohner fest im Griff und ihre eigene Verwaltung eingerichtet. Der größte Teil der nötigen Einkünfte stammt aus den Häfen von Khaldeh und Jiyeh, mit Monatseinnahmen in Höhe von 25 Millionen L.L. (heute etwa 36.000 Dollar). Weitere 80.000 US-Dollar kassiert die PSP monatlich für das dort verladene Benzin. Westbeiruter Hotels und Restaurants, Sportklubs und Badestrände zahlen der Miliz üppige Schutzgelder. Auf den Straßen des Shoufs werden Wegegelder errichtet, die Verbindungsstraße zwischen Beirut und Damaskus ist dabei eine besonders bedeutende Einnahmequelle. Lieferwagen und LKWs versteuern ihre Ladung mit durchschnittlich 10.000 L.L. pro Fracht.

Die Finanzierung der schiitischen Amalmiliz, die die Häfen von Ouzai bei Beirut und Sur im äußersten Süden kontrolliert, oder der „Nasseristischen Volksbefreiungsorganisation“ von Saida folgt im großen und ganzen den gleichen Mustern. Erwähnenswert ist außerdem die üppige Schwarzmarktmafia im Norden des Libanons, der seit 1976 von syrischen Truppen kontrolliert wird. Der Handel in Richtung Syrien blüht besonders mit Baumaterial, Elektrogeräten, Lebensmitteln und allen Luxusartikeln. In den beiden Häfen von Miniyeh und Tripoli werden je nach Ladungswert mindestens 250.000 L.L. kassiert. In der Raffinerie von Tripoli wird selbstverständlich auch das Benzin „versteuert“. Die syrischen Truppen machen hier in „Selbstversorgung“: Abgesehen von dem Benzin im Wert von mindestens 600 Millionen L.L., das jährlich in die Tanks syrischer Fahrzeuge im Libanon fließt, werden beträchtliche Mengen direkt in die Heimat geschafft, wo Benzin unvergleichlich teurer ist.