Der unaufhaltsame Abstieg des Andreas P.

■ Die Wahlniederlage der griechischen Regierungspartei Pasok ist vorprogrammiert / Von Niels Kadritzke

Am Montag war die Zahl der Pasok-Jünger, die der Korruptionsskandal um den Bankier-Betrüger Koskotas in den Knast gebracht hat, auf zwölf gestiegen. Als bislang letzter wanderte kein geringerer als der Direktor der Fluggesellschaft Olympic Airways, Akrivakis, hinter Gitter. Und bei ein paar Untersuchungshäftlingen wird es nicht bleiben. Voraussichtlich im Laufe dieser Woche werden die Schweizer ihr Bankgeheimnis einen Spaltbreit lüften und Beweise gegen den gerade abgehalfterten Justizminister Koutsojorgas liefern. Ganz tief mit im Sumpf strampelt Ministerpräsident Papandreou, der wenig Chancen hat, die für den 18. Juni angesetzten Parlamentswahlen heil zu überstehen. Ehe es noch schlimmer kommt, will er das Ganze lieber so schnell wie möglich hinter sich bringen. Athener Zeitungen melden, daß der Wahlgang in den Mai vorverlegt werden soll.

Kein Zitat wurde von der regierungskritischen Athener Presse in den letzten Wochen so sehr strapaziert wie die Pointe von Des Kaisers neue Kleider. Daß der Kaiser nackt war, stimmte schon lange. Aber erst jetzt ist die Blöße des griechischen Regierungschef auch für alle nicht völlig erblindeten Anhänger seiner Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) unübersehbar geworden. Denn Andreas Papandreou hat mit Menios Koutsojorgas seinen letzten Schutzschild eingebüßt. Sein langjähriger Freund, Anwalt und (bis vor zwei Wochen) auch Justizminister gilt als überführt, von dem heute in einem US-Gefängnis einsitzenden Betrüger Koskotas im August zwei Millionen Dollar als eine Art „politisches Schutzgeld“ auf ein Genfer Konto bezogen zu haben.

Koutsojorgas ist nicht irgendeiner aus der Umgebung Papandreous, die sich fast täglich durch neue Verhaftungen lichtet. Bis vor kurzem galt er als der „starke Mann“ der Pasok, noch im Herbst 1988 regierte er in Athen als Statthalter Papandreous, als dieser Monate in englischen Krankenhäusern zubringen mußte. Vor allem aber: Seit Ausbruch des Koskotas-Skandals diktierte er die Strategie, mit der die Partei auf den Strom der Enthüllungen reagierte. Er ließ die wenigen Pasok-Vertreter, die eine Säuberung der eigenen Reihen forderten, als „gekaufte Abtrünnige“ denunzieren; er verkündete die Verschwörungstheorien, die unverhüllt mit antisemitischen Vorurteilen spielten; er ließ in der Provinz die fanatischen Parteigänger aufmarschieren und zum Verbrennen regierungskritischer Zeitungen anstacheln.

Mit Koutsojorgas Fall ist auch diese Verzweiflungsstrategie zusammengebrochen. Das Idol der Pasok-Basis, das noch vor zehn Tagen von wildgewordenen Kleinbürgern in Sprechchören („Hände weg von Menios“) gefeiert wurde, wird jetzt in der Parteizeitung diskret darauf hingewiesen, daß sich in der Politik zuweilen ein Selbstmord als letzter ehrenwerter Ausweg anbietet.

Daß mit einem solchen Abgang zumindest die Ehre seines Freundes Andreas zu retten wäre, liegt auf der Hand. Wenn Koutsojorgas vor Gericht erscheinen müßte, könnte es ihm womöglich schwerfallen, sich mit der Rolle des alleinigen Sündenbocks abzufinden. Und damit dürfte auch das Schicksal des Ministerpräsidenten besiegelt sein. Und natürlich das der Pasok, die stets nur das fügsame Zaumtier ihres charismatischen Vorsitzenden gewesen ist.

Dabei hatte alles so schön angefangen. Die Aufbruchstimmung von 1981, als die Pasok mit ihrer Parole vom „Wandel“ erstmals die konservative Dauerherrschaft brechen konnte, faszinierte nicht nur deutsche Alternativtouristen, die das grüne Parteiemblem als Bekenntnis zum Umweltschutz mißverstanden. Auch Teile der griechischen Linken sahen in Papandreou das Haupt einer sozialistischen und demokratischen Bewegung, die ihren Widerstand gegen die Militärdiktatur als fortschrittliche Erneuerungspolitik fortführen wollte.

Tatsächlich wurde die Partei des Wandels zunächst zum Wegbereiter einer überfälligen gesellschaftlichen Modernisierung, die allerdings bald an die harten Grenzen der griechischen Verhältnisse stieß. Seit seiner Wiederwahl von 1985 profilierte sich Papandreou fast nur noch als Vollstrecker einer Politik, die Griechenland an die „kapitalistischen Realitäten“ anpassen sollte und selbst für die einst propagierte „unabhängige“ Außenpolitik - gegenüber Nato und USA - keinen Spielraum mehr sah.

Das mochten die meisten Pasok-Wähler noch als „Wende zum Realismus“ schlucken. Viele hofften aber wenigstens auf eine neue politische Kultur, auf mehr Demokratie. Das hätte zuallererst die Überwindung des Korruptions- und Klientelsystems vorausgesetzt.

Auch diese Hoffnung trog. Die Aufsteigerpartei bediente sich aus den staatlichen Töpfen um so bedenkenloser, als ihre Klientel unter den alten Verhältnissen oft zu kurz gekommen war. Seit 1985 glich die politische Bilanz der Pasok-Regierung einer Skandalchronik. Es war kein Zufall, daß die grünen „Sozialisten“ die Modernisierung ihres Landes einem neuen Unternehmertyp anvertrauen wollten, den am spektakulärsten der spekulationsfreudige Aufsteiger Koskotas verkörperte. Als sich dieser Hoffnungsträger dann als Betrüger herausstellte - des sen Fähigkeiten die Regierung für ihre Zwecke ausgebeutet hatte wurde auch das Unternehmen Pasok reine Machterhaltungspartei ohne demokratische Substanz.

Jetzt war das Ende der alten Illusionen überfällig: Eine Partei, die sich einen Parteitag alle fünf Jahre genehmigt und deren politische Kultur sich in lärmenden Kundgebungen, Hymnen an den Führer, Diskussionsverboten und willkürlichen Parteiausschlüssen erschöpft, kann mitten im Korruptionssumpf nur denen das Ruder überlassen, die sich von den Enthüllungen am heftigsten bedroht fühlen. Wenn dann in einer solchen Krise der moralische Ruf und die Urteilskraft auch des Parteiführers fragwürdig wird, auf dessen unfehlbarer Weisheit die Parteiideologie beruhte, steht auf einmal alles in Frage. Noch ist Papandreou Ministerpräsident und Vorsitzender der Pasok. Aber der Führer ist zum Bleigewicht für die Führerpartei geworden. Mit Papandreou kann sie nicht mehr gewinnen, und ohne Papandreou ist sie verloren.