Argentiniens Militärs in der Offensive: Präsident Alfonsin beruft Generäle in den neuen "Nationalen Sicherheitsrat"/Hausdurchsuchungen und Verhaftungen nach der Kasernenbesetzung von La Tablada

Nach wie vor herrscht in Argentinien Verwirrung über Hintergründe und Motive der Kasernenbesetzung von La Tablada. Das Militär hat inzwischen die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und setzt linke und liberale Kräfte unter Druck. Zahlreiche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen haben Oppositionelle veranlaßt, sich zu verstecken. Präsident Alfonsin hat sofort nach Beendigung der Revolte die Stabschefs von Heer, Marine und Luftwaffe in einen neugegründeten Nationalen Sicherheitsrat berufen.

Ungewöhnlich schnell veröffentlichte die Staatsanwaltschaft die Namen der Besetzer der Kaserne La Tablada und löste damit innerhalb der argentinischen Linken ungläubiges Entsetzen und auch Zweifel aus: Unter den Toten befindet sich der Rechtsanwalt Jorge Banos, langjähriger Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation CELS und Sprecher der „Bewegung 'Alle für das Vaterland'“ (MTP). Die MTP ist ein kleines antimilitaristisches Bündnis aus Bürgerrechtlern, Ökologen, Befreiungstheologen, linken Peronisten und Gewerkschaftern, das unter anderem für ein Schuldenmoratorium eintritt. Es wurde vor einigen Jahren gegründet mit dem Ziel, die argentinische Linke wieder zu organisieren. Insgesamt fünf MTP-Mitglieder sollen sich unter den Besetzern befunden haben.

Der 34jährige Banos, den die Staatsanwaltschaft jetzt als einen der Besetzer identifizierte, gründete 1986 die MTP, deren Sprecher er wurde. Die MTP bezeichnet sich als pluralistisch, als „breite Bewegung, die den Abgrund zwischen den Politikern und dem Volk“ überwinden wolle. Bei den Wahlen im September 87 trat die MTP in verschiedenen Kommunen mit Kandidaten an. Kurz darauf kam es zu einer Spaltung, als Banos öffentlich die Verteidigung von Enrique Gorriaran Merlo übernahm, einem der Gründer der als trotzkistisch geltenden Organisation ERP, der lange Zeit in Nicaragua im Exil gelebt hat. Er hatte an der Ermordung von Ex-Diktator Somoza 1980 in Asuncion teilgenommen und soll gerüchteweise auch in der La-Tablada-Kaserne gewesen sein. Mit der Übernahme des Mandats für Merlo wurde die Aufgabe der MTP neu definiert. Es sei unverzichtbar, so verkündete Banos, „die wirkliche Geschichte der Volkskämpfe wiederzuerlangen“.

Vor zehn Tagen hatte die MTP international für Aufsehen gesorgt, als sie Strafanzeige gegen den peronistischen Präsidentschaftskandidaten Menem erstellt hat. Menem habe so Banos auf der Pressekonferenz - zusammen mit mehreren rechten Gewerkschaftsführern und dem Anführer der aufständischen Offiziere, Oberst Mohammed Seineldin, konspiriert, um Präsident Alfonsin zu stürzen. Menem forderte jetzt die Einstellung der Ermittlungen. Er hält die Besetzung für ein Manöver, um ihn - drei Monate vor den Wahlen - um seinen Sieg zu bringen.

Die Linke wurde von der Aktion völlig überrascht, und viele sind vorsorglich auf Tauchstation gegangen; bei vielen Redaktionen gehen haufenweise Abo-Kündigungen ein. Bisher sollen 20 Hausdurchsuchungen und einige Verhaftungen stattgefunden haben. Mit Schlimmerem wird allgemein gerechnet, denn inzwischen wurde das Militär von der Regierung zur „Verteidigung gegen die Subversion“ zu Hilfe gerufen. Präsident Alfonsin hat dazu einen Nationalen Sicherheitsrat gegründet und eine Änderung des Militärgesetzes angekündigt. Das Parlament führt seit vier Jahren eine harte Auseinandersetzung über dieses Gesetz. Vor einem Jahr trat es schließlich in Kraft und begrenzte die Aufgabe des Militärs auf die Landesverteidigung. Innere Sicherheit war seit diesem Zeitpunkt laut Gesetz nicht mehr seine Aufgabe.

In den vergangenen Jahren gab es in Argentinien keinerlei Hinweise auf die Bildung einer bewaffneten Linken. Im Gegenteil, nur wenige Guerilleros haben die Verfolgung durch die Militärs in den 70er Jahren überlebt. Vollkommen offen ist also die Frage, woher so plötzlich 60 Kämpfer und ihre Bewaffnung sowie die Logistik für eine derartig komplexe Aktion kommen konnten.

Die „Vereinigte Linke“, das Wahlbündnis aus Trotzkisten, KP und unabhängiger Linken, sowie sämtliche Menschenrechtsorganisationen haben die Aktion als „Provokation“ verurteilt, die „nur den Militärs nutzt“ - so die Maiplatz-Mütter. Sie fordern eine parlamentarische Kommission, die die Hintergründe untersuchen soll. Die Version der Polizei erscheint unwahrscheinlich, und die Gerüchte blühen. Im Radio hieß es, Banos sei von Militärs tot in die Kaserne gebracht worden. Und die Tageszeitung 'Republica‘ erinnert daran, daß der Anwalt Mitte letzten Jahres hochbrisantes Material über die 17.Konferenz der amerikanischen Heere in Mar del Plata verteilt hatte, das in allen Ländern des Subkontinents Empörung ausgelöst und ein parlamentarisches Nachspiel hatte. Auf eine Frage, woher er die geheimen Dokumente habe, hatte Banos geantwortet: „Ich habe gute Kontakte zu hohen Militärs.“ Entweder, so wird gemutmaßt, sei er selbst ein Agent oder aber in eine Falle seiner Informanten gelaufen.