In Kurven denken-betr.: "Wo man alles am Boden macht", taz vom 21.12.88

betr.: „Wo man alles am Boden macht“, taz vom 21.12.88

(...) In Kurven zu denken ist tausendmal schwieriger als gradlinig von A nach B zu denken. Natur verstehen zu wollen ist millionenmal komplizierter als alle Naturwissenschaftler heute verkünden, und unsere mickrige Ratio zu kapieren, dazu gehören nur ein paar Logikkurse.

Ich gehe überhaupt nicht davon aus, daß Männer fürs Intellektuelle zuständig seien, im Gegenteil, seit sie sich dafür zuständig fühlen, geht es bergab, bis zum drohenden globalen Selbstmord. Wieso kommen die KritikerInnen so selten auf die Idee, daß eine Frau die hybride Voraussetzung machen könnte, daß das dümmere Geschlecht die Männer seien? Davon gehe ich nämlich mal provokativer Weise aus. Daß Frauen sich überall soviel anpassen an herrschende Machtstrukturen und diese auch noch mit patriarchalen Weiblichkeitslegitimationen leben, liegt an ihrer Intelligenz, denn intelligente Wesen können sich aber auch alles so hininterpretieren, daß sie ohne Probleme alles tun können, was sie tun. Die Anpassungsfähigkeit der Frauen ist größer als die der Männer, das ist statistisch nachgewiesen. Nur der Dumme ist unfähig dazu, sich auf schwierige Lebenssituationen einzustellen.

Die meisten verwechseln „Vernunft“ mit Intelligenz schlechthin und sind einfach nicht gebildet genug, um zu sehen, daß die vernunftmäßige Denkform nur eine ganz beschränkte Form ist, allerdings von Männern erfunden, daß läßt sich für Europa, und nur da ist es relevant, nachweisen. Warum „Gebärmutter“ so ein „furchtbares“ Wort sein soll, verstehe ich nur, wenn ich es aus patriarchaler Tradition höre. „Der Kopf ist nicht furchtbar, „das Herz“ nur mittelfurchtbar, „das Hirn“ immer noch Favorit und „der Bauch“ unter aller Würde, aber „die Gebärmutter“ gänzlich unter aller Sau - oder? Wer spricht hier? Eine feministische Frau oder eine patriarchalisierte Zeitgenossin?

Wieso ist, woraus ein jeder Mensch stammt, furchtbar? Wer ist denn furchtbar? Die Mutter, die gebiert und Verantwortung spürt, für ihre Geborenen? Wer sagt denn, daß die Mutter an allem Schuld sei, am Faschismus, am Patriarchat, an Herrschaft. Wieso wird die Mutter immer herausgekramt, wenn die schlimmste „Mittäterin“ gesucht wird? Ja, Frauen sind auch Täterinnen, manchmal auch Mittäterinnen. Und auch jetzt sind sie Mittäterinnen, wenn sie das Muttersein nur mit patriarchalen Brillen interpretieren können, denn das ist Patriarchat, Vater -Herrschaft.

Dieselben, die nach Tschernobyl den Müttern Öffentlichkeit verweigert haben, sind Mittäterinnen am Patriarchat. Mütter, die sich weigerten, ihre Kinder und sich selbst den Atomstaaten als Restrisiko zur Verfügung zu stellen, diesen Müttern, die sich weigern, ihre Kinder zu Soldaten und Soldatenfrauen zu erziehen, diesen Müttern wird Faschismus und alles mögliche Schlimme vorgeworfen, nur um sie wieder einmal zu unterdrücken, denn die Grenze der Emanzipation scheint bei Männer und Frauen da zu sein, wo eine Frau wagt, sich selbstbewußt als Mutter öffentlich zu äußern, denn das ist der größte Widerspruch in einem jeden patriarchalen Staate, der ja die Geborenen braucht gegen die Interessen der Gebärenden. Aber diese Interessen dürfen nicht gesagt werden, in keiner Befreiungsbewegung, weil sie nämlich daran erinnern würden, daß wir nicht aus Geist und Vernunft bestehen, sondern ganz anderer Art sind, eben Geborene und Sterbliche, ein seltsamer Mischmasch im Universum.

Es kotzt mich wirklich an, Frau erklären zu sollen, sie seien zur Intellektualität genauso oder gar berufener als die Männer. Wenn Miriam Cahn das weiß, selber ganz sicher weiß, dann braucht sie keiner Philosophin unterstellen, sie würde etwas anderes meinen, sondern sie könnte sich einmal die Mühe geben, auch mal Gedanken einer Frau nachzuvollziehen, was sicherlich noch ganz ungwohnt ist. Aber wieviel Schwachsinn sind wir gewohnt, an männlichen Vordenkern nachzuvollziehen und es interessant zu finden; wenden wir dieses Einfühlungsvermögen doch mal auf uns selber an, dann würde es allen etwas bringen, auch den Männern, die noch Orientierung suchen.

Annegret Stopczyk, Berlin 65