Ungebrochener Atomboom in der Sowjetunion

■ Trotz Erdbeben und der Katastrophe von Tschernobyl setzt UdSSR verstärkt auf Atomkraft / Verdreifachung der Kapazitäten geplant AKW im Erdbebengebiet Armenien doch weiter in Betrieb / Zusammenarbeit mit Sicherheitsexperten auch aus der BRD angestrebt

München/Ohu (dpa/taz) - Die Sowjetunion will bis zum Jahr 2000 die Leistungskapazität ihrer Atomkraftwerke von jetzt 35.000 Megawatt (Bundesrepublik: 23.000 Megawatt) auf über 100.000 Megawatt verdreifachen. Der Vorsitzende des Staatskommitees für die Nutzung der Atomenergie in der UdSSR, Prof. Alexander Protsenko, sagte am Montag in München nach einem Besuch im Kernkraftwerk Isar II in Ohu bei Landshut, diese Steigerung solle durch den Bau von vier bis sechs neuen AKWs und die Erweiterung der bestehenden Anlagen erreicht werden. Derzeit würden, so Protsenko, in der Sowjetunion neue Reaktorformen entwickelt und bestehende Reaktortypen sicherer gemacht. In diesem Zusammenhang erwähnte der ranghöchste Verantwortliche für Atomanlagen in der Sowjetunion, daß mit Siemens an einem neuen Druckwasserreaktortyp gebaut werde. An der Entwicklung eines Hochtemperaturreaktors in der UdSSR seien drei bundesdeutsche Unternehmen beteiligt. Im Verbund mit Sicherheitsexperten aus Schweden, der Bundesrepublik und der DDR würden Richtlinien zur Planung und zum Betrieb von Kernkraftwerken erstellt, wobei „das jeweils Beste von den anderen beteiligten Ländern übernommen werden soll“. Ziel sei dabei, den Sicherheitsstandard zu erhöhen. Die Entwicklung der „Schnellen Brüter“ in der UdSSR gehe langsamer voran als geplant.

Derzeit sei eine solche Anlage mit einer Leistung von 1,6 Millionen Kilowatt in Planung, nachdem schon drei Typen in einer Leistungsstufe von 350 bis 800 Megawatt bestünden. Nach Angaben von Protsenko wurde das Atomkraftwerk in Armenien, bei der jüngsten Erdbebenkatastrophe nicht beschädigt und sei daher weiter in Betrieb.

Es sei für eine Erdbebenstärke von neun auf der Richterskala ausgelegt. Da es jedoch an einer sogenannten tektonischen Bruchstelle liege, werde es im Rahmen der generellen Sicherheitsnachrüstung der bestehenden Anlagen vermutlich nicht modernisiert, sondern auf längere Zeit stillgelegt.

Im Augenblick sei es dafür zu früh, denn die einzige weitere größere Energiequelle in Armenien, ein Ölkraftwerk, sei stark beschädigt worden und nicht mehr in Betrieb. Zu einem möglichen Verzicht auf die Atomenergie betonte Protsenko, dies würde infolge der Umweltverschmutzung durch Kohlekraftwerke als Alternativ-Energiequellen „den Tod von mehreren hunderttausend Menschen bedeuten“.

Atomkraftgegner seien offenbar bereit, dies in Kauf zu nehmen. Durch die Entwicklung der Atomenergie könnten auch die immer größer werdenden Umweltprobleme wie etwa der klimatische Treibhaus-Effekt verhindert werden. Alternative Energieformen erwähnte Protsenko nicht.

BK