Wozu braucht Tansania Ketchup?

Ex-Präsident Nyerere verstärkt die Kritik am „Über-Liberalismus“ seines Nachfolgers Mwinyi / Geschäftemacher auf Jagd nach Dollars und Großwild / Neue IWF-Forderungen  ■  Von Christa Wichterich

Die Regale im Supermarkt von Arusha sind prall gefüllt. Die wenigsten der Produkte sind jedoch in Tansania selbst hergestellt, die meisten kommen aus dem benachbarten Kenia. Aber es gibt auch Nesquick aus der Schweiz, Hering aus Wilhelmshaven und Oliven aus Marokko. Wer kann sich denn eine Büchse Fisch für fast zehn Mark leisten?

„So darfst Du das nicht rechnen“, belehrt mich ein Arzt im Ort. „Wenn man Dollars schwarz tauscht, ist die Dose ja nur halb so teuer.“ Als gilt es, sich erst einmal Dollars zu beschaffen. Und die bekommt man legal durch Export oder illegal durch Schmuggel und Geschäft mit Ausländern.

Dieser Logik folgen in Tansania sämtliche Geschäftemacher, große und auch immer mehr kleine. Die Import -Liberalisierung, die Ex-Präsident Julius Nyerere 1984 einleitete, hat dieser Art des Handels den Weg bereitet. Die Idee war zunächst, solche Güter zu importieren, die die Basisversorgung der Bevölkerung und eine Ankurbelung von Landwirtschaft und Industrie sicherstellen würden. Der Schreck der gähnenden Leere, die 1983 in den Geschäften und auf den Märkten herrschte, sitzt den Leuten noch heute in den Gliedern. Rinder starben wie die Fliegen, weil das Tauchbad, das sie vor Insektenstichen schützt, nicht erhältlich war. Es fehlte an Seife und Zucker, an Medikamenten und Ersatzteilen. Die Produktion lag fast vollständig darnieder. Wegen der niedrigen Erzeugerpreise produzierten die Bauern nur noch für den Eigenbedarf, Grundnahrungsmittel mußten importiert werden.

Trotz der Erfolge bei der Alphabetisierung und der Lebenserwartung: Für Nyerere und den Ujamaa-Sozialismus war das eine schwere wirtschaftspolitische Niederlage, und es war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die schon immer wußten, daß Sozialismus als Entwicklungsmodell nichts taugt. Doch hausgemachte Ursachen wie Mißmanagement, ein bürokratischer Wasserkopf und wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen waren nur zum Teil für die Misere verantwortlich.

Die Entwicklung war mit der Explosion der Erdölpreise 1973 aus dem Tritt geraten. Es folgten eine Dürre und 1977 die Auflösung der Wirtschaftsgemeinschaft mit Uganda und Kenia. Der Sieg im Krieg mit Uganda, der 1979 zum Sturz Idi Amins führte, brachte dem Land zwar internationales Lob, aber auch ein zusätzliches Defizit in der Staatskasse. Das nahm durch sinkende Exporterlöse immer mehr zu, die Schulden türmten sich auf.

1985 gab sich Nyerere geschlagen: Mit seinem Rücktritt machte er den Weg frei für einen radikalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Sein Nachfolger Mwinyi und dessen Finanzminister Mzuya übernahmen ein Erbe von fast vier Milliarden Dollar Auslandsschulden und hatten keine Wahl: 1986 akzeptierten sie ein wirtschaftspolitisches „Gesundungsprogramm“, Vorbedingung für einen Rückzahlungsaufschub und für Kredite von IWF, Weltbank und anderen, mit denen eine dreijährige Strukturanpassung finanziert wird.

Die Medizin ist weltweit die gleiche: mehr Markt, weniger Staat in der Wirtschaft. Der tansanische Shilling wurde um bisher 140 Prozent abgewertet, Subventionen und Preiskontrollen wurden abgebaut, Schulgebühren und eine Selbstbeteiligung an den Krankenkosten eingeführt.

Mwinyi lud Multis und andere ausländische Privatunternehmen, deren Besitz in den siebziger Jahren verstaatlicht worden war, zu neuen Investitionen ein, und warb für die Übernahme heruntergewirtschafteter Staatsbetriebe. Die Exportproduktion sollte massiv wiederbelebt werden, und Privatunternehmen erhielten Zusagen, daß sie einen Teil der erwirtschafteten Devisen bar auf die Hand bekommen würden, um zu modernisieren und Rohstoffe zu kaufen.

Die Statistiker strahlen inzwischen Optimismus aus: Das Wirtschaftswachstum betrug 1987 drei Prozent, die Inflationsrate stabilisierte sich, die Nahrungsmittelimporte konnten nach zwei Rekordernten verringert werden, und die Industrieproduktion nahm zu.

Luxusgüter und Feldarbeit

In Arusha, der Stadt, wo Nyerere und die regierende CCM -Partei 1967 die Bausteine für den Ujamaa-Sozialismus entworfen hatten, werden reichlich Waren aus und nach Kenia verschoben. Kein Zufall, daß Nyerere gerade hier scharf mit der Liberalisierungs-Politik ins Gericht ging. „Skrupellose Leute dringen in unsere Nationalparks ein, töten seltene Tiere und verkaufen Stoßzähne und Hörner gegen Devisen. Die benutzen sie, um Waren zu kaufen, die sie dann wieder zu exorbitanten Preisen verkaufen. Die meisten Importe sind Luxusgüter. Wozu brauchen wir Schokolade und Ketchup?“

Auch auf andere Fragen gibt es keine Antwort. Um ein Uhr mittags sitzen in einer riesigen Fabrikhalle einer halbstaatlichen Firma nur drei Angestellte herum plaudernd. Die anderen sind krank, sagen sie, aber der Name dieser offenbar epidemischen Krankheit ist nicht herauszufinden. Doch niemand, der in Tansania im öffentlichen Dienst oder bei einer staatseigenen Firnma beschäftigt ist, kann mit seinem Verdienst über die Runden kommen.

Viele von ihnen sind auf ihrer „Shamba“, dem eigenen Stück Land, oder aber äußerst glücklich, daß ihre Frauen dort Mais, Gemüse und Bananen für den Eigenbedarf oder Kaffee für den Verkauf anpflanzen. Anbau für die Selbstversorgung ist für die meisten eine Methode der Ernährungssicherung, wo die Preise auf den Märkten rapide hochschnellen.

Während die Kleinbauern davon profitieren, bekommen bereits die Mittelbauern die Kehrseite der Export-Import-Deals zu spüren: Die Kosten für Dünger und Pestizide steigen ständig, doch die Weltmarkt-Preise für Rohstoffe sinken. So lassen Kaffee-Bauern ihre Sträucher verdorren, denn der devisenhungrige Staat verbietet die Produktionsumstellung. Und Baumwollfarmer verdienen zwar wieder mehr, doch die staatlichen Aufkaufgenossenschaften lassen sie häufig wegen mangelnder Lager- und Transportmöglichkeiten auf ihrer Ernte sitzen - so blüht der Schmuggel nach Kenia.

Ein großes Fragezeichen hängt auch über Tansanias Schuldenberg. Die Einfuhren sind dreimal so hoch wie die Ausfuhren. Selbst bei einer erfolgreichen Ankurbelung der traditionellen Exportproduktion von Kaffee, Tee, Sisal und Baumwolle ist damit auf Dauer nicht genug zu verdienen, um die alten und die neuen Schulden abzutragen.

Schon dreht der IWF die Schraube stärker an unhd verlangt eine weitere Abwertung zwischen 25 und 50 Prozent, bevor er die dritte Rate für das „Gesundungsprogramm“ freigeben will. Mwinyi hat bisher gezögert, sich dem IWF zu unterwerfen und solche unpopulären Maßnahmen durchzuführen. Auf Unterstützung von Nyerere, der den „Über-Liberalismus“ kritisiert, darf der Regierungschef dabei nicht hoffen.