„Nicht anders als manche Politiker“

■ Verhandlung gegen Besetzer von Radio Bremen / Widersprüche zwischen Intendant Klostermeier und Regionalchef von Haken / Staatsanwalt will gegen türkischen Redakteur ermitteln

Radio Bremen hatte die Besetzer seiner Studios schon einen Tag nach der Aktion freigesprochen: „Es ist nicht zu Gewaltanwendung gegen Personen und Sachen gekommen“, hieß es in einer Presseerklärung des Senders, genehmigt vom Intendanten Karl Heinz Klostermeier. Gestern vor Gericht erntete Klostermeier Widerspruch aus dem eigenen Hause. Abteilungsleiter Niels von Haken über die Presseerklärung: „Das ist falsch“.

Gewaltanwendung und Nötigung des Senders, das wirft Bremens politischer Staatsanwalt Hans Georg von Bock und Polach den 17 Angehörigen türkischer revolutionärer Gruppen vor. Am dritten Mai dieses Jahres waren sie in die Studios eingedrungen und hatten verlangt, daß eine Erklärung von ihnen im türkischsprachigen Regionalprogramm „Biz Bize“ verlesen wird. In der Erklärung protestierten sie gegen die Polizeieinsätze am ersten Mai in türkischen Universitäten, bei denen StudentInnen verletzt, gefangengenommen und später auf den Revieren gefoltert worden waren.

Die Radio-Bremen-Mitarbeiter weigerten sich, die türkischen Revolutionäre an die Mikrofone zu lassen. Nach stundenlangen

Verhandlungen wurde vereinbart, daß zwei StudiobesetzerInnen am folgenden Tag ihren Standpunkt über den Sender erklären konnten: Am Mittag auf deutsch in der „Rundschau“, am Abend auf türkisch in „Biz Bize“.

Haben die Demonstranten sich sich mit Druck und Gewalt durch

gesetzt? Die beiden Zeugen des gestrigen Verhandlungstages widersprachen sich in diesem Punkt heftig. Die Türken hätten einen „aggressiven, gewalttätigen Eindruck“ gemacht und den Mitarbeitern des Senders erklärt: „Ihr seid Geiseln“. Ein Mitarbeiter habe sich „über das Mischpult ge

worfen, um es vor den Türken zu schützen“, berichtete er. Der Kompromiß, wonach zwei Demostranten am folgenden Tag im Programm zu Wort kamen, sei für ihn „eine Kröte“ gewesen, „die Radio Bremen schlucken mußte“. Nicht weil er sich im Wort gefühlt habe, hätte er die Interviews mit

dann auch tatsächlich zugelassen, sondern weil er Racheakte der Besetzer gefürchtet habe.

Radio-Bremen-Intendant Klostermeier ließ die Besetzer in einem anderen Licht erscheinen: Die „Personen“ hätten sich „nicht anders als manche Politiker“ verhalten. Sie hätten eben ihre Erklärung verbreiten lassen wollen. Eine andere Form wäre ihm zwar lieber gewesen, aber das sei für ihn „marginal“.

Für Staatsanwalt von Bock und Polach ist die Frage der Gewalt längst geklärt: Seiner Ansicht nach haben die Besetzer die Mitarbeiter des Senders am Verlassen der Studios gehindert und damit genötigt. Daß sie sich vor den Türen auf den Boden gesetzt haben, wurde auch von mehreren Zeugen bestätigt. Fehmi Kaya, verantwortlicher Redakteur für das türkische Programm Biz Bize, hat das als Zeuge am ersten Verhandlungstag nicht klar bestätigt. Nach Ansicht des Staatsanwalts hat er dabei die Unwahrheit gesagt. Seine Aussage widerspreche denen anderer Zeugen und seiner eigenen Einlassung bei der Kripo. Deshalb will von Bock gegen ihn wegen „uneidlicher Falschaussage“ ermitteln. Mindeststrafe drei Monate Gefängnis. mw