Atom-Schwarzmarkt vor Bonner Haustür

■ Seit Anfang der 70er Jahre wissen die verschiedenen Bundesregierungen von den atomaren Schwarzmarktgeschäften der Firma Hempel / Bonn: Nicht zuständig / Von Thomas Scheuer

Langsam aber sicher gerät die Bundesregierung im Fall Hempel in einen Erklärungsnotstand. Immer deutlicher wird, daß zumindestens das Bundeswirtschaftsministerium über die diversen Hempel-Aktivitäten seit Jahren informiert ist und zumindestens von den USA gedrängt wurde, einzuschreiten. Bisher verwies die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft darauf, daß Hempel in den fraglichen Fällen innerhalb des Bundesgebiets nicht tätig geworden ist. Doch diese Behauptung ist jetzt widerlegt.

Am 23.November 1983 passierte der Truck mit sowjetischem Kennzeichen den deutsch-deutschen Grenzübergang Helmstedt; am übernächsten Tag rollte er beim Autobahnzoll Weil-Basel in die Schweiz. Der Laster hatte eine brisante Fracht quer durch das Bundesgebiet gekurvt: Schweres Wasser, eine Schlüsselkomponente für die Herstellung von bombenfähigem Plutonium. Vom Flughafen Basel wurde der Stoff wenige Tage später zusammen mit einer aus Oslo kommenden Ladung auf den Luftweg via Dubai nach Indien gebracht. Auftraggeber des verdeckten Mehreck-Transfers: Der Düsseldorfer Kaufmann und Atomschieber Alfred Hempel, der mittlerweile vor dem Bonner Atom-Untersuchungsausschuß vorgeladen war, aus Krankheitsgründen aber nicht erschien. Daß dessen Firmen im Rahmen ihrer weltweiten Schwarzmarktgeschäfte Schweres Wasser auch direkt über bundesdeutsches Territorium transportierten, brachten jetzt Detektive der norwegischen Sicherheitsspolizei ans Licht. Diese hatten den Endverbleib des seinerzeit aus Oslo stammenden Schwerwassers aufzuklären und zunächst vermutet, die in Basel zugeladene Fracht stamme ebenfalls aus norwegischer Produktion. Schweres Wasser (chemisch: Deuteriumoxid D2O) dient als Moderator in Atomreaktoren, in denen aus Natururan direkt Plutonium gewonnen werden kann. Jeder Handel mit mehr als einer Tonne D2O unterliegt internationaler Überwachung. Die Osloer Zeitung 'Verdens Gang‘ hatte im April dieses Jahres erstmals über Hempels 15-Tonnen-Transaktion von Oslo via Basel nach Bombay berichtet. Da die norwegische Regierung eine Verletzung ihrer Exportbestimmungen, wenn nicht gar des Atomwaffensperrvertrages witterte, wurden im Spätsommer die Detektive Odd Malme und Ammund Nilssen auf grenzüberschreitende Pirsch geschickt. Ihre Ermittlungsergebnisse liegen der taz in Auszügen vor.

Am 31.August 1983 war ein Kaufvertrag über 15,118 t D2O zwischen Norsk Hydro und Hempels Rohstoff-Einfuhr GmbH (RE) unterzeichnet worden. Stolzer Preis: 3,552 Millionen US -Dollar. Am 2.September beantragte und am 8.September erhielt RE vom Bundesamt für Außenwirtschaft, das dem Bundeswirtschaftsminister untersteht, ein Internationales Import-Zertifikat mit der Nr.718438. Als Abnehmer hatte Hempel das Kernforschungszentrum Jülich angegeben. Doch dort erinnert sich niemand an eine derartige Bestellung. Tatsächlich entschwand die Boing 707 der West-African Airlines mit der Flug-Nummer ky 660, in die am 1.Dezember 1983 auf dem Osloer Airport die 15 Tonnen eingeladen worden waren, entgegen ihrem ursprünglichen Flugplan nicht nach Frankfurt, sondern zunächst in die Schweiz. In Basel wurden 6,6 Tonnen Fracht zugeladen, dann ging es weiter nach Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Hempels RE hatte den Stoff an Hempels schweizerische Firma ORDA AG verkauft. Die lieferte an den Endabnehmer: Die indische Atomenergie -Kommission.

Vor einigen Wochen standen im Rahmen eines norwegischen Rechtshilfeersuchens nun bundesdeutsche Zollfahnder, begleitet von ihren Kollegen aus Oslo, im Frachtzentrum des Düsseldorfer Flughafens in dem kleinen Büro der Cargo Charter Service CCS auf der Matte. Diese Firma hatte als Subunternehmer im Auftrag der Spedition „Transservice“, die seit Jahren aufgrund verwandtschaftlicher Bande die meisten Transfers für Hempels frachttechnisch abwickeln darf, in jenem Dezember 1983 das Flugzeug der West-African Airlines gechartert. Ein CCS-Mitarbeiter bestätigte, was RE -Geschäftsführer Helmut Swyen und andere Hempel-Mitarbeiter in ihren Vernehmungen strikt verschwiegen hatten - den Endverbleib der brisanten Ladung. Er selbst, so gab Herr P. zu Protokoll, habe damals den gesamten Flug von Olso über Basel und Dubai, wo man übernachtet habe, bis nach Bombay begleitet. In Bombay sei die Maschine entladen worden. Im Keller der CCS beschlagnahmten die Beamten („da zu befürchten war, daß sie beiseite geschafft werden könnten“, so das Protokoll) Frachtbrief und Rechnung, auf denen ebenfalls Bombay als Bestimmungsort angegeben war.

Bei den in Basel zugeladenen 6,6 Tonnen Schwerwasser, so ergaben die weiteren Ermittlungen des deutsch-norwegischen Fahndungteams, handelte es sich jedoch nicht, wie zunächst angenommen, um norwegisches, sondern um sowjetisches Schwerwasser. Hempel hatte das Zeug bei der Staatshandelsfirma Techsnabexport bestellt. Ein Laster der sowjetischen Spedition „Sowtrans“ karrte das Naß von Kiew nach Basel. Dabei, so ergaben die Zollrecherchen, handelte es sich exakt um den Truck, der am 23.November 1983 die Grenze zur Bundesrepublik überquerte. „Aus Vertragsgründen“, so der Zeuge P., konnte der Stoff erst in Basel übernommen werden. Daß der Schwerwasser-Transport dabei die BRD passierte, dürfte neue Fragen im Atom-Untersuchungsausschuß des Bundestages aufwerfen: Denn bisher hatten deutsche Staatsanwaltschaften und Fahndungsbehörden ihre Null -Aktivitäten in Sachen Hempel immer damit begründet, daß dieser die suspekten Phasen seiner Schiebereien über eine Firma im Ausland, nämlich die schweizerische ORDA AG, abgewickelt und daß das Material selbst nie bundesrepublikanischen Boden berührt habe. Nur wenn solche Transporte „durch das deutsche Wirtschaftsgebiet“ führen, so belehrte der Staatssekretär im Bonner Wirtschaftsministerium, Dieter von Würzen in einer Expertise mit Datum vom 10.Oktober 1988 die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, „ist eine außenwirtschaftsrechtliche Genehmigung erforderlich“. Nun führt die Autobahn von Helmstedt nach Basel ganz zweifelsfrei „durch das deutsche Wirtschaftsgebiet“. Man darf daher gespannt sein, welche Transitpapiere der Truck -Fahrer seinerzeit an den betreffenden Zollübergängen vorlegte. Danach wird Herr Würzen sicher gefragt werden, wenn er kommende Woche als Zeuge vor den Untersuchungsausschuß tritt.