DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK

 ■  György Ligeti und die Equidistantialität

Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Die Festwochen veranstalten also eine Reihe mit „Komponistenportraits“ im neuen Kammermusiksaal - 8 mal 3 Konzerte jeweils am Wochenend.

Ein feines Wort: Equidistantialität. Sagen Sie das mehrmals vor sich hin, das kommt gut. Wirkt wie Spunk. Hat aber nichts mit Pferden zu tun und man kann es auch nicht in der Apotheke kaufen - es handelt sich schlicht um das So-Sein des Gleich-Weit-Voneinander-Entfernt-Seins. Oder so. Wenn man zum Beispiel eine Zwölftonreihe in zwei Ganztonskalen aufteilt und die miteinander verschränkt, dann gibt es eine „quasi-equidistantiale Intervallik“, die wiederum , kombiniert mit anderen Modi, im dritten Satz von Ligetis Klavierkonzert diese „merkwürdige, weich-metallische Färbung“ erzeugt.

Schreibt er es nicht ins Programmheft rein, dann liefert er mündlich nach: wie was gemacht ist, was man da hören und wie man es finden soll. Ligeti redet ohne Punkt und Komma. Verweist hier auf „eine neue Phase meines Komponierens“, rühmt dort die „Komplexität“ eines Stückes und immer mal wieder ganz allgemein die stets „gute Qualität“.

Schwätzt den Leuten buchstäblich die Öhrchen ab - und ist dabei so charmant, so geistreich von Poppers Gnaden, daß auch grober Unfung noch unbedingt druckreif wird. Aus den Feuilletons hallt es zurück: Komplexität, Qualität, Equidistantialität, stilbildend, höchstes Niveau, eine neue Phase, ein großer Meister.

Klar käme Ligetis Musik auch ohne diesen Hokuspokus aus: sie ist angenehm und ausgewogen, egal aus welcher Phase sie stammt. Sie läßt sich gut durchhören, egal, wie klug sie konstruiert sein mag. Die stärksten Stücke freilich stammen aus den Sechzigern, als Ligeti noch seine berühmten mikropolyphonen Klangschichtungen zelebrierte, und vielleicht würde man manch neuerem Werk vorwerfen, daß es nicht sonderlich originell ist - wüßte man nicht aus erster Hand, wieviel „eminent Neues“ darin steckt. Abgesehen davon sind ja die von den King's Singers uraufgeführten Nonsens-Madrigale wirklich ganz bezaubernd.

Ligeti heute ist ein kugelrunder Klassiker, glatt und gleichmäßig wie ein Murmelstein. Auch er soll, so heißt es, irgendwann Ende der Siebziger eine Krisis durchgemacht haben, aber das kann nur eine ganz kleine gewesen sein. Ungebrochen, in alter Frische, hält seine Kunst den immer gleichen gesitteten Abstand zu sich und der schmutzigen Welt da draußen. Er plaudert: einen Spaziergang habe er gemacht zwischen den Konzerten und sich geärgert über städtebauliche Scheußlichkeiten. Daß die Philharmonie umzingelt war an diesem Wochenende (von den kleinen grünen Männchen wg. Sparkassentreff) - das hat er gar nicht bemerkt, denn sowas ist eine andere relative Wahrheit und jedenfalls keine ästhetische. So ein So-Sein ist beneidenswert.

E. E. Bauer