„In Berlin regieren alle“

■ AL-Delegiertenrat stritt sich über Wahlkampfprogramm / „Putschversuch“ des Geschäftsführenden Ausschusses (GA) mit „konkretem, peppigen“ Gegenentwurf

Erwartungsgemäß über zwei widerstreitende Entwürfe zum Wahlkampfprogramm debattierte am Mittwoch abend der AL -Delegiertenrat. Wie berichtet, hatte der Geschäftsführende Ausschuß (GA) in letzter Minute einen eigenen Vorschlag eingebracht, nachdem die seit fünf Monaten tätige Programm -Kommission auftragsgemäß eine rund 60 Seiten starke Wahlkampfbroschüre vorgelegt hatte.

Den GA-Entwurf bezeichnete Lohauß als „politischen Putschversuch“. Das nur 16 Seiten dünne Papier sei eine „platte Auflage linker Vorurteile“, der eine vernünftige programmatische Diskussion verhindere. Unverständlich war Lohauß, warum der GA überhaupt einen eigenen Entwurf vorlegte, zumal das Ergebnis der Programmkommission eine ausreichende Grundlage zur Diskussion bieten würde. Auf eine Grundsatzdebatte aber ließ sich der GA nicht ein und begründete sein Vorgehen vorrangig mit formalen Argumenten. Angesichts der zu erwartenden „massiven Flut von Änderungsanträgen“ und der knappen Zeit, so Assi Geese vom GA, habe man sich zu einem eigenen Vorschlag entschlossen, der „klar und deutlich, konkret und peppig“ sei.

Das GA-Papier orientiert sich zwar weitgehend an den Schwerpunkten der Programm-Kommission, beansprucht aber, die „Identität der AL als radikale Partei“ deutlicher herauszustellen. Zu den Zielen heißt es dort u.a. „Die AL arbeitet für eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft ..., ihr Ziel ist zusammengefaßt die Forderung: In Berlin regieren alle mit“. Der Programm-Kommission warf Jung-ALer Detlef Schulze dagegen zuviel „Einerseits -Andererseits-Denken“ vor, ohne daß konkrete Maßnahmen genannt würden. Die „konkrete Utopie, wie zum Beispiel die Avus wird weggegraben“ vermißte auch Pressesprecher Dirk Schneider. Der Entwurf der Programm-Kommission drücke „resignative Schwäche“ aus und habe einen „revisionistischen, bürgerlichen, angepaßten Ansatz“.

Hilde Schramm und Bernd Köppl von der Programm-Kommission verteidigten dagegen ihr auf „Reflektion und Zusammenhänge“ angelegtes Konzept. Es sei der Versuch, so Köppl, „die Grundlage unserer Politik auszubauen“, zumal viele Ideale aus der sozialistischen Tradition heute brüchig und nicht mehr glaubwürdig seien. Bewußt habe man deshalb auf „Schwarz -weiß-Malerei“ verzichtet.Aus der Langfassung lasse sich außerdem immer noch das gewünschte „Kurzprogramm“ machen.

Am kommenden Mittwoch will der Delegiertenrat die inhaltliche Debatte fortsetzen und die Entscheidung über die beiden Wahlkampfversionen der Mitgliederversammlung im Herbst überlassen. Bei allem Streit aber waren sich die Delegierten in einer Sache einig: Ein Fundi-Realo-Konflikt solle in Berlin „tunlichst vermieden“ werden.

bim