Vor dem „Ausverkauf Amerikas“?

Traumhotels, Spielkasinos und Wolkenkratzer wechseln die Besitzer / Angst vor der „Gelben Gefahr“ „Kolonisierung“ der USA als Folge verfehlter Wirtschaftspolitik / Kontrolle der Auslandsinvestitionen  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Unter amerikanischen Wirtschaftsexperten macht sich ein neues, eher bedrückendes Lebensgefühl breit. Mit wachsendem Unbehagen sehen sie sich mit der Tatsache konfrontiert, daß die Vereinigten Staaten, lange selbst globale Wirtschaftsmacht Nummer eins, von anderen Staaten immer abhängiger werden. Durch ihre riesigen Handels- und Budgetdefizite, die nur noch von außen finanzierbar sind, seien die USA zum „Gefangenen ausländischen Kapitals“ geworden, meint etwa der New Yorker Investmentmakler Felix Rohatyn.

Eine weitere Entwicklung bereitet Rohatyn noch mehr Sorgen: Ein immer größerer Anteil am materiellen Reichtum Amerikas geht in den Besitz von Ausländern über; der vom billigen Dollar angeheizte Kaufrausch von Investoren aus Europa und dem Fernen Osten beschränkt sich nicht mehr auf Wertpapiere, sondern greift auf Immobilien und immer größere Firmen über. Rohatyn hält es deswegen für nötig, daß „im Interesse der nationalen Sicherheit“ darüber nachgedacht wird, die bisher laschen Kontrollmechanismen für ausländische Investitionen zu verbessern.

Rohatyns Empfehlung vermag die Befürchtungen mancher Amerikaner, ihr Land erlange langsam, aber sicher den Status einer Kolonie, noch zu schüren. Die Empfindlichkeit der amerikanischen Öffentlichkeit erreichte immer dann Höhepunkte, wenn besonders symbolträchtige Bestandteile des amerikanischen Erbes ihren Besitzer wechselten: Traumhotels in Hawaii, Spielkasinos in Las Vegas, Wolkenkratzer von Los Angeles bis New York und zuletzt CBS Records, die durch den japanischen Elektronik-Giganten Sony übernommen wurden.

Wie sehr die amerikanische Sichtweise von subtilem Fremdenhaß geprägt ist, erkennt man auch an der Überbetonung des japanischen Anteils am angeblichen Ausverkauf Amerikas. 1986 investierte Japan 23,4 Milliarden Dollar in den USA, die Niederlande hingegen 42,9 Milliarden Dollar. Spitzenreiter waren sie damit immer noch nicht. Diese Ehre kommt den Briten zu, die sich in jenem Jahr eine knapp 52 Milliarden Dollar teure Scheibe vom amerikanischen Kuchen abschnitten. Die Japaner haben jedoch seit 1980 im Vergleich zu den Briten und Holländern am stärksten zugelegt.

Die ausländischen Gesamtinvestitionen in den USA belaufen sich mittlerweile auf 1,5 Billionen Dollar, mehr als das Siebenfache des Stands von 1974. Bankguthaben ausländischer Investoren in den Vereinigten Staaten wuchsen zwischen 1973 und 1986 von 32 Milliarden Dollar auf 445 Milliarden, ihr Besitz an Wertpapieren wird auf 300 Milliarden geschätzt, an Immobilien auf 100 Milliarden und an Produktionsanlagen und Lagerhäusern auf weitere 300 Milliarden Dollar. Der Immobilienbesitz hat am meisten Aufmerksamkeit erregt, immerhin gehören mittlerweile fast 50 Prozent der Hochhäuser in der Innenstadt von Los Angeles Besitzern mit nicht -amerikanischem Pass. In Manhattan sind es 21 Prozent, darunter das Exxon-Gebäude im Rockefeller-Center (Kaufpreis 610 Millionen Dollar), das Mobil-Oil-Hochhaus (250 Millionen Dollar), dann das Hauptquartier der Fernseh-Gesellschaft ABC und das traditionsreiche Tiffany-Building an der 5th Avenue. Die Immobilienpreise in Manhattan, schätzt man, sind allein durch die 5,5 Milliarden Dollar, die japanische Investoren 1986 auf der Wolkenkratzer-Insel investierten, um 10-15 Prozent gestiegen. Bei amerikanischen Unternehmen ist die ausländische Käuferschar bunter gemischt. Die bundesdeutsche Bertelsmann-Gruppe schnappte sich den Bücherkonzern Doubleday (475 Millionen Dollar) und die Schallplattenfirma RCA, der schweizer Nestle-Konzern schluckte den Lebensmittel -Riesen Carnation (3 Milliarden Dollar), die Briten kauften den Öl-Giganten Standard-Oil (7,6 Milliarden Dollar) und die traditionsreiche Pistolenfirma Smith & Wesson (112 Millionen Dollar).

Felix Rohatyn sieht den Schuldigen an der schleichenden „Kolonisierung“ der USA nicht unbedingt im Ausland, sondern in der verfehlten Wirtschaftspolitik Washingtons. Zu lange seien die wachsenden Haushaltsdefizite hingenommen und mit der Einleitung ökonomischer Gegenmaßnahmen gewartet worden, so daß nun die „Rückgewinnung unserer verlorengegangenen finanziellen Unabhängigkeit“ zu einer unnötig schwierigen Aufgabe geworden sei. Längst sei aus einem nur wirtschaftspolitischen Problem ein dermaßen weitgreifendes geworden, daß es darüber hinaus außen- und innenpolitische Aspekte aufweise.

In eine ähnliche Kerbe schlagen auch andere Kommentatoren. Es sei bedenklich, wenn nach Jahrzehnten des privatkapitalistischen Laisser-faire, wie es vor allem von den USA propagiert und zum eigenen Besten ausgenutzt wurde, nun beklagt werde, daß andere die Vorteile genießen, argumentiert etwa der Journalist Robert Kuttner. Die Idee der nationalen Souveränität im ökonomischen Bereich sei im späten 20.Jahrhundert überholt, fügt Hobart Rowan, Wirtschaftskolumnist der 'Washington Post‘, hinzu. Es wäre richtiger gewesen, die „übersteigerten Ausgaben der USA im letzten halben Dutzend Jahren zu kritisieren, die von außen finanziert worden sind“. Ihre Vorwürfe, so Rowan, seien an die Politiker in den Vereinigten Staaten und nicht an die ausländischen Investoren zu richten, die „unsere Kastanien aus dem Feuer geholt haben“.