Wenn einer keine Reise tut...

... und immer schon mal wissen wollte, warum die Bremer Kaufleute, die schwarze Zahlen in ihre Bücher schrieben, auch oft rote Nasen hatten, darf weiterlesen: Was hat Bremen mit dem Roten aus Bordeaux zu tun?  ■  Von Bernhard Gleim

Es ist eine merkwürdige Sache: Gerade Leute, die nicht in Gebieten leben, in denen Wein angebaut wird, gelten häufig als excellente Weinkenner. So sind die Engländer Connaisseure des französischen Rotweins, ihr König Richard Löwenherz, ein Verehrer des Bordeaux, soll sich täglich in den Weinlagen von St. Emilion betrunken haben; - und Kenner des französischen Rotweins waren auch die hanseatischen Kaufleute, die „den Roten“ fast genauso schätzten wie

die schwarzen Zahlen, die der Handel mit ihm in ihren Kontobüchern hinterließ.

Wir wollen nicht allzu tief ins Glas der Geschichte gucken, aber immerhin ist es interessant, daß die Bremer Kaufleute den französischen Rotwein gar nicht zuerst in Frankreich kennenlernten: sie selber fuhren nämlich nicht an die französische Küste, wohl aber die Engländer und Niederländer. Der erste nach Bremen importierte Rotwein wird also aus London oder Antwerpen gekommen sein, bald aber konnten die Bremer auf den

Zwischenhandel verzichten und fuhren selbst vor die Reede von Bordeaux. In den Hafenstädten konzentrierte sich der Weinhandel einfach deswegen, weil man den Wein über Land und so weite Strecken nicht transportieren konnte. Auf dem Landweg war er starken Erschütterungen und Klimawechsel unterworfen und ging dabei kaputt - im Schiffsbauch aber ruhte er sicher, bis das Schiff in den Hafen einlief.

1186 müssen die Bremer schon ganz schön im Weingeschäft gewesen sein, denn wir lesen von den Klagen des norwegischen Königs Sterre, der den Bremern vorwarf, sie kämen mit zu viel großen Schiffen und brächten soviel Wein in seine Stadt Bergen, daß der Wein schon wie Bier getrunken werde blutige Schlägereien seien ander Tagesordnung. Nun kann es sein, daß die Norweger ganz einfach deswegen außer Rand und Band waren, weil der Wein nach heutigen Maßstäben noch nicht sehr edel war. Er wurde sehr jung getrunken, kräftig gewürzt, und manche sollen sogar rohen Speck in den Wein getaucht haben, um ihn bis zum Frühjahr trübe zu halten. Später wurden dann Anbau und Lagerung enorm verfeinert. Selbst eine uns so

selbstverständlich anmutende Tatsache, daß man die Weinflaschen bei längerer Lagerung hinlegt, wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt. Und das hatte Folgen für den Geschmack: Je mehr Sauerstoff durch den Korken nach außen tritt, umso schneller altert der Wein. Ein französischer Rotwein soll zwar altern - aber nicht zu schnell, sondern ganz bedächtig.

Kleinigkeiten? Nicht für die Bremer Weinkaufleute, die nicht müde wurden, immer wieder auf ihren Standortvorteil hinzuweisen. In Bremen ist das Klima nicht zu warm und nicht so trocken, und die tiefen kühlen Keller, in denen der Wein lagerte, lagen in einem Boden, der aus Dünensand mit Moorschichten besteht, und das soll für einen alten Rotwein so sein, als schliefe er in Abrahams Schoß. Wenn der Rotwein, nach so langer Lagerung das Tageslicht erblickte, war das ein fast heiliger Augenblick. Eine Flasche edlen Rotweins wird nicht einfach „ausgegossen“, sie wird „dekantiert“, und wer dieses Wort langsam ausspricht, der weiß sofort, daß das ein unendlich langsamer und gemessener Vorgang ist. Manche Haushalte hatten sogar ein Gerät, das man am praktischsten als

„Dekantierlift“ beschreibt. Eine Art Hebevorrichtung, mittels derer man den Wein langsam in die für das Gießen notwendige Schräglage kurbelte. Das Dekantieren des Weins im hansischen Haus hat der Schriftsteller Norbert Jacques einmal so beschrieben: Die Weine wurden aufs vorsichtigste aus der Flasche, in der sie zehn bis zwölf Jahre gelagert hatte und gereift waren, in die Kristallkaraffe abgefüllt. Man denke: Sie wurden aus zehn Jahren Schlaf gerissen! Die roten Partikelchen, den den Depot bildeten, durften nicht auseinandergerissen werden, und das Überfließen der Flasche in die Karaffe hatte den Hauptzweck, daß eine Strähne Luft mit in den Wein gesaugt wurde, mit der er sozusagen eine leichte Auffüllung mit Jugend und Frische ins Gewebe seiner Seele mit aufnahm. Es war wichtig, welche Zeit zwischen das Dekantieren und das Trinken gelegt werden sollte... Das alles war in alten Hausgesetzen festgelegt, die der Hausherr verwaltete und gern mit seinen Gästen besprach.

Schließen wir mit dem Motto, daß Dagobert Klüver, ein Großneffe Arthur Fitgers in dessen Gästebuch schrieb: „Kaufleute, die schwarze Zahlen schreiben, haben nicht selten rote Nasen!“